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Pressestimmen von Freitag, 16. Februar 2007

Michael Wehling 15. Februar 2007

Prozess um Terroranschläge von Madrid / Haftstrafe für Holocaust-Leugner Zündel.

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Die von uns ausgewählten Kommentare der deutschen Tageszeitungen beschäftigen sich an diesem Freitag mit dem Beginn des Prozesses um die Anschläge auf Vorortzüge in Madrid am 11. März 2004. Mutmaßliche islamische Extremisten töteten 191 Menschen. Zweites Thema ist die Verurteilung des Neonazis Zündel zu fünf Jahren Haft wegen Leugnung des Holocaust.

Zunächst nach Madrid. Die Tageszeitung DIE WELT schreibt zum Auftakt des Terrorprozesses:

'Mit der Explosion der Madrider Bomben hatte der asymmetrisch geführte Krieg erstmals europäischen Boden betreten. Und er zeigte, wie bei den Londoner Anschlägen im Juli 2005, ein neues Gesicht des Terrorismus. Hier war nicht mehr al-Qaida selbst am Werk – hier agierten vielmehr „autonome“ Terrorgruppen, die von al-Qaida nur inspiriert waren. Und die Osama bin Ladens Auffoderung folgten, durch Anschläge jene Länder zu destabilisieren, die nicht amerikakritisch genug waren. In Madrid wie später in London waren die Täter in gewisser Weise keine Fremden mehr: Muslime und zum Teil Zugewanderte zwar, aber doch Bürger des Landes. Die Anschläge zeigten, dass dieser Terrorismus in Europa heimisch zu werden begann.'

Die STUTTGARTER ZEITUNG macht sich grundsätzliche Gedanken::

'Der 11. September hat ein Pendel angeschoben, das noch lange schwingen wird, dessen Ausschläge aber zusehends geringer werden. Die Massenmorde haben Sicherheitslücken aufgedeckt und den Ruf nach Strafe und mehr Sicherheit ausgelöst. Mancher panikartige politische Vorstoß ist seitdem wieder korrigiert, die Sicherheitsstruktur ist verbessert worden. Man hat sich auf die neue Bedrohung eingestellt. Wer heute wegen Terrorverdachtes verhaftet wird, wird wie jeder andere Verbrecher auch behandelt.'

Die in Hagen erscheinende WESTFALENPOST bemerkt:

'Dieser Prozess ist für Spanien und für Europa so einschneidend, dass er bereits jetzt als Jahrhundertprozess gilt. Er ruft den Albtraum wieder wach. Und er wirft die bange Frage auf: Kann es für die Täter, die so viel Leid und Angst über die Menschen gebracht haben, eine angemessene Strafe geben? Die Staatsanwaltschaft fordert jeweils fast 40.000 Jahre Haft. Ein bizarres Strafmaß. Seine Höhe sagt viel darüber aus, wie machtlos selbst die Justiz doch ist, auf den globalen Terror eine wirklich angemessene Antwort zu finden. Sicher ist bereits jetzt: Die Urteile von Madrid werden den Terror nicht stoppen.'

Abschließend zu diesem Thema ein Blick in die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock:

'Der Prozess gegen die überlebenden Bahnbomber von Madrid macht ein weiteres Phänomen des Terrorismus deutlich. Der Alltag kehrt zurück, aber die Mörder leben unter uns. Es sind, wie die Busbomber von London 2005, Bürger mit heimischem Pass und Bildung, es handelt sich bei weitem nicht nur um Arme und Entrechtete. Und - freie Gesellschaften sind solchen latenten Bedrohungen stärker ausgesetzt, weil sie mit legalen Mitteln den illegalen Untergrund nur schwer kontrollieren und bekämpfen können.'

Damit zum Urteil gegen den Neonazi Zündel. Der 67-jährige Deutsche hatte von Kanada aus in Rundbriefen und im Internet den Völkermord der Nazis an den Juden bestritten. Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen begrüßen das Urteil.

So schreibt die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz:

'Das Urteil ist ein wichtiges Zeichen. Es bedeutet: Hetzer, Agitatoren und politische Brandstifter dürfen auch dann nicht davonkommen, wenn sie fast 70 Jahre alt und deswegen angeblich nicht mehr gefährlich sind. Es geht nicht nur um die Gefährlichkeit von NS- Tätern, es geht vor allem um das Prinzip der Gerechtigkeit. Diese Erkenntnis ist leider allzu spät gereift. So versagte die deutsche Nachkriegsjustiz in den fünfziger und sechziger Jashren eklatant - ausgerechnet, als es darum ging, die NS-Justiz aufzuarbeiten. Kein einziger Blutrichter von Hitlers Gnaden wurde bestraft.'

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU beleuchtet den Verlauf des Prozesses:

'Zu bedauern ist nur, dass dieses Urteil zwei Anläufe und 15 Monate gebraucht hat. In denen sich der Gerichtssaal in einen Gestrigen- Treff wandelte. Mit einem Publikum, das fast komplett dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen war. Mit Strafverteidigern, die ihrem Stand zur Schande gereichten. Die im Plädoyer aus Hitlers Mein Kampf lasen und Briefe ans Gericht mit Heil Hitler zeichneten. Die Atmosphäre gemahnte mitunter an eine braune Parallelwelt, in der nicht nur die Nazi-Vergangenheit geleugnet wurde, sondern die Gegenwart gleich mit. Vorbei der Spuk. Einstweilen. Gegen zwei Zündel-Anwälte sind bereits Verfahren eingeleitet. Wegen Volksverhetzung, was sonst.'

Die in Heidelberg erscheinende RHEIN-NECKAR-ZEITUNG lobt:

'Es gibt noch Richter in Deutschland. Die sich weder durch rechte Agitatoren in der Anwaltsrobe zermürben, noch durch braune Claqueure im Gerichtssaal einschüchtern lassen. Unter Ausschöpfung des vollen Strafmaßes, das Artikel 130 des Strafgesetzbuches gegen die Leugnung des Holocaust aufbietet, hat das Landgericht Mannheim den Zündels, Irwings, Leuchters oder auch Ahmadinedschads dieser Welt mit dem Urteil eine Lektion erteilt: Rassistische Geschichtsfälscher sollten auch in Zukunft einen Bogen um Deutschland machen. Wir haben keinen Bedarf an Entschuldung durch Lüge.'

Der MANNHEIMER MORGEN schreibt:

'Sicher birgt es eine gewisse Problematik, historische Wahrheiten staatlich zu schützen. Aber im Fall der Holocaust-Leugnung bleibt eine Bestrafung gerechtfertigt. 'Nie wieder Auschwitz' war ein Gründungsethos der Bundesrepublik - er muss auch in Zukunft bestehen bleiben. Selbst um den Preis, solche bizarren und von etlichen Eklats begleiteten Prozesse wie den gegen Zündel aushalten zu müssen.'