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Pressestimmen von Freitag, 18. Juni 2004

Redaktion hatte Reinhard Kleber. 17. Juni 2004

Kompromiss beim Zuwanderungsgesetz / Schuldspruch im Dutroux-Prozess

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Dominierendes Thema in den Kommentarspalten der deutschen Tageszeitungen ist der Kompromiss zwischen Bundesregierung und Unionsparteien zum geplanten Zuwanderungsgesetz. Außerdem wenden sich die Kommentatoren dem Schuldspruch im belgischen Dutroux-Prozess zu.

Im Berliner TAGESSPIEGEL lesen wir zur Einigung bei der Zuwanderung:

"Hat die Mühe gelohnt? Das hat sie. Wir, das alternde Industrieland Deutschland, öffnen uns der Realität einer Welt, in der Geist, Geld und Arbeitskraft keine Grenzen kennen. Wir tun das spät und ängstlich. Wir lügen uns weiter populistisch in die Tasche, dass wir um unserer Arbeitslosen willen die Tür nur einen Spalt weit aufmachen dürften, und ignorieren, dass dann eben die Arbeitsplätze abwandern. Aber es ist ein Spalt. Von draußen kann ein bisschen frische Luft herein. Gelohnt hat auch der lange Zank um Sicherheit. Was da vereinbart ist, verteidigt den Rechtsstaat gegen seine Feinde nicht auf die Brutalo-Art, die nichts mehr zu verteidigen übrig lässt."

Überwiegend positiv beurteilt die WELT aus Berlin den Kompromiss:

"Es kommt (darin) ein Land zum Vorschein, das Zuwanderer sehr wohl will, aber sie in die Pflicht nimmt, statt ihre Integration dem Zufall und Gutmenschentum zu überlassen. Aus falscher Rücksicht auf die vielen, die kamen, hat sich der deutsche Staat Jahrzehnte lang zu wenig getraut, weil er seiner eigenen Identität zu wenig traute. Das Zuwanderungsgesetz beginnt auch damit zu brechen. Was vor vier Jahren mit der Green Card-Idee des Bundeskanzlers begann, findet im ein bisschen zu oft gescholtenen Parteienkonsens nun ein Ende - und kein schlechtes. Das Gesetz war der Mühen wert."

Sehr kritisch äußert sich dagegen die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Dieses Zuwanderungsgesetz ist die Umkehrung fast aller mit diesem Gesetz ursprünglich verfolgten Werte. Günther Beckstein, der bayerische Innenminister, hat bei der Beschreibung des Verhandlungsergebnisses der Wahrheit die Ehre gegeben: So ein Gesetz, hat er gesagt, hätte die Union in der Regierungszeit Kohl, zusammen mit der FDP, nicht hingekriegt. Darauf kann sich die rot-grüne Koalition etwas einbilden."

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf betrachtet die Einigung eher zwiespältig:

"Das Ergebnis ist ein Gesetz, das die derzeit typisch deutsche Politik widerspiegelt: verzagt modern, verzagt innovativ, verzagt bürokratiefeindlich. Das ursprüngliche Herzstück, ein ausgeklügeltes Punktesystem, das den Zuzug von Fachkräften nicht nur steuern, sondern animieren sollte, wurde von den Konservativen sofort herausoperiert. Bereits da zeigte die Union die Absicht, nur Zuwanderungsbegrenzung zu dulden. Das schlug indes fehl."

Und nun nach Belgien: Dort sprach ein Schwurgericht den vorbestraften Kinderschänder Marc Dutroux des Mordes an zwei Mädchen schuldig. Der SCHWARZWÄLDER BOTE aus Oberndorf meint dazu:

"Die Antwort ist Ja. Mit diesem klaren Satz der Vorsitzenden der Geschworenen im spektakulären und auch umstrittenen Prozess gegen den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux ist gestern die Schuldfrage eindeutig beantwortet worden. Das Strafmaß muss noch festgelegt werden. Im Fall des Hauptangeklagten kann es sich nach menschlichem Ermessen nur um lebenslang handeln - für alles andere hätte kein Mensch Verständnis."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg gibt dagegen zu bedenken:

"Es ist die erste wirklich gute Nachricht in einem erschütternden und abstoßenden Prozess: Der meistgehasste Mann Belgiens ist schuldig. Und trotzdem ist auch der Tag des Schuldspruchs ein schwarzer Tag für Belgien. Denn die Wahrheit und die wirkliche Schwere und Tragweite der Verbrechen kamen in dem Mammutverfahren in Arlon nicht ans Licht. Nach den beispiellosen Ermittlungspannen, der Absetzung eines Untersuchungsrichters, der vielleicht auf eine zu heiße Spur gestoßen war, Kompetenzrangeleien bei der Polizei, nach Verdunkelung und Desinformation haben die Belgier das Vertrauen in ihre Justiz verloren. Hatte das Versagen der Behörden System?"