1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Freitag, 21. Oktober 2005

Reinhard Kleber20. Oktober 2005

Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute / Neue Debatte über deutsche Leitkultur / Mehlis-Bericht zu Hariri-Mord im Libanon

https://p.dw.com/p/7KVx


Die Leitartikler der deutschen Zeitungen nehmen sich vor allem das Herbstgutachten der so genannten Wirtschaftsweisen zur Brust. Weitere Themen sind die neu entzündete Debatte über eine deutsche Leitkultur und der angekündigte Untersuchungsbericht zum Mord am früheren libanesischen Regierungschef Hariri.

Zunächst kommt die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND aus Hamburg mit ihrem Kommentar zum Herbstgutachten zu Wort.

"Der Staat muss sparen, die Steuern senken und das Defizit abbauen. Was die Experten der sechs führenden deutschen Wirtschafts- forschungsinstitute da präsentiert haben, klingt umwerfend. Die Frage ist nur, ob wir dafür Ökonomen brauchen, zumal dann, wenn die immer wieder vorgetragenen Grundsatzphrasen viel zu wolkig und abgehoben sind, um daraus konkrete Vorschläge für die Praxis abzuleiten. Just in dem Moment, wo Deutschlands neue Regierung über den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs verhandelt, verabschieden sich die Institutsökonomen nicht nur aus einer ernst zu nehmenden Rolle im Inland. Ihr Gutachten strotzt vor altgewohnten Weisheiten und mangelnder Selbstkritik."

Auch aus dem linken politischen Spektrum wird harte Kritik laut. Wir zitieren die TAGESZEITUNG aus Berlin.

"Reformen müssen sein. Aber anders, als es den «sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstituten» vorschwebt, sollten diese vor allem bei ihnen selbst ansetzen. Ihr Bericht belegt, welch hochgradig konzeptuelles Vakuum speziell in der deutschen Wirtschaftswissenschaft herrscht. Die sich überparteilich gebenden Berater haben sich mit ihrer neoliberalen Litanei schon lange in eine Sackgasse manövriert, aus der sie aus eigener Kraft offenbar nicht mehr herauskommen."

Der WESER-KURIER aus Bremen greift sich ein Beispiel heraus:

"Mit «Schrumpflöhnen» soll also bei dramatisch angestiegenen Heiz- und Benzinkosten die Binnenkonjunktur, unser Hauptproblem, angekurbelt werden - diese Logik erschließt sich nicht so recht. Auch nicht, wenn dafür die Steuern auf breiter Front gesenkt werden sollen. Denn der Staat, der ohnehin unter einem riesigen Defizit ächzt, müsste dann seine Ausgaben so dramatisch kürzen, dass bei den meisten Menschen Heulen und Zähneklappern ausbräche. Die Empfehlung der Institute kommt damit eher einer Aufforderung an die beiden großen Volksparteien zum politischen Selbstmord gleich."

Auf seinen Vorstoß zur Reanimation der Leitkultur-Debatte hat der neue Bundestagspräsident Norbert Lammert kontroverse Reaktionen bekommen. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München führt aus:

"Immer dann, wenn es der Union unwohl ist, fällt ihr das Wort Leitkultur ein. Immer dann, wenn es Streit gibt zwischen CDU und CSU, sucht sie nach einem preiswerten Versöhnungstrunk; und es geht dann meist einer in den Keller und holt ein paar Flaschen Patriotismus aus dem Regal. Soeben ist es wieder so weit. Weil die Union über die Fehler ihres Wahlkampfes nicht reden will, sucht sie sich einen hochprozentigen Stoff, dem man gemeinsam zusprechen kann."

Ganz anders der Berliner TAGESSPIEGEL, der meint, vor einigen Jahren habe man sich nicht vorstellen können,

"dass sich viele Jugendliche wieder für den christlichen Glauben interessieren - bis im Frühjahr der Papst starb, der neue gewählt wurde. Und dass ein frisch gewählter Bundestagspräsident unter beifälligem Nicken des Parlaments sagen kann, dass er auf eine Neubelebung der Leitkultur-Debatte hofft, das war vor fünf Jahren auch nicht drin, als Friedrich Merz den Anlauf für diese Wertediskussion startete. Das Land ist konservativer geworden in dieser Zeit, konservativer als Angela Merkel selbst womöglich."

Zum Schluss ins Ausland. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE schreibt zur syrischen Vorabkritik am Ermittlungsbericht zum Fall Hariri:

"Diese Deutung des Berichts als Instrument amerikanischer Dominanzpolitik tut der Gewissenhaftigkeit des Ermittlers sicherlich unrecht. Andererseits käme eine Belastung des syrischen Regimes in dem Bericht Washington sehr gelegen, das Damaskus unter Drohungen Komplizenschaft mit terroristischen Rebellen im Irak vorwirft. (...) Falls der Mord tatsächlich syrischer Planung entsprang, so wäre er nicht nur ein Verbrechen, sondern auch eine Riesentorheit gewesen."