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Pressestimmen von Freitag, 22. September 2006

Eleonore Uhlich21. September 2006

Köhlers Berliner Rede / Koalitionsstreit über Gesundheitsreform

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Themen dieser Presseschau sind der anhaltende Streit über die Gesundheitsreform und die Rede von Bundespräsident Horst Köhler zur Bildungspolitik. Der Bundespräsident hat deutlich stärkere Anstrengungen für eine bessere Bildung in Deutschland angemahnt. Zugleich unterstrich er in seiner Berliner Rede die gesellschaftliche Bedeutung einer guten Schulbildung und verlangte höhere Ausgaben. In den Zeitungskommentaren spiegeln sich Zustimmung und Skepsis gleichermaßen wider.

Der FRÄNKISCHE TAG aus Bamberg schreibt:

"Es war nicht das Adlon, in dem der amtierende Bundespräsident Horst Köhler sprach. Und seine Rede hatte auch nicht die sprachliche Brillanz und den Tiefgang der berühmt gewordenen Ruck-Rede von Roman Herzog aus dem Jahr 1997. Aber Köhler hat mit der Bildung das Thema ausgewählt, das entscheidend für die Zukunftschancen unseres Landes in der globalisierten Welt ist. Deutschland kann mit Gegnern wie China oder Indien auf dem Weltmarkt nicht konkurrieren, indem wir unsere Arbeit immer billiger machen. Der Rohstoff Geist ist es, der zum Trumpf werden muss."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG befindet:

"Den Länderfinanzministern dürfte bei dem Vorschlag, Lehrer nach bewährtem skandinavischen Vorbild durch Schulpsychologen und Sozialarbeiter zu unterstützen, ebenso schwindlig geworden sein wie bei der Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache. ... Bemerkenswert ist, dass Köhler der allgemeinen Tendenz widersteht, Bildungsaufgaben unmittelbar an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes zu orientieren. ... Mit Finanzen allein ist es nicht getan, mit weiteren Diagnosen auch nicht, vielmehr gilt es, entschlossen zu handeln.

Die in Regensburg erscheinende MITTELBAYERISCHE ZEITUNG stellt fest:

"Statt Schüler individuell zu fördern und angesichts gesellschaftlicher Klüfte für mehr Chancengleichheit zu sorgen, regiert der Rotstift. Das hat, wie längst offenbar geworden ist, bittere wirtschaftliche Folgen. ... Die Untätigkeit bedroht darüber hinaus -auch darauf wies Köhler hin- gar die demokratische Grundordnung. Fehlende Bildung und eventuell daraus resultierende gesellschaftliche Ausgrenzung lässt junge Menschen weit eher zur Beute von Populisten werden."

Die Zeitung MAIN-ECHO aus Aschaffenburg hat Zweifel an der Wirksamkeit von Köhlers Worten und führt aus:

"So wird auch die mit Spannung erwartete Grundsatzrede Köhlers zur Bildungspolitik, mit der er die von seinem Vor-Vorgänger Roman Herzog begründete Tradition der «Berliner Rede» fortsetzte, wenig Wirkung entfalten und rasch im kollektiven Gedächtnis vergessen sein. Mit dem Besuch einer Berliner Problemschule wollte er ein Zeichen setzen. Und doch blieb der Präsident zu vage und zu unverbindlich, nicht unbequem und fordernd, sondern eher präsidial die Konflikte zukleisternd und verharmlosend."


Der anhaltende Streit um die geplante Gesundheitsreform hat sich zu einem Dauerthema in den Zeitungskommentaren entwickelt. Zahlreiche von der Koalition vereinbarte Eckpunkte werden von der Union wieder in Frage gestellt. Zuletzt waren von der SPD erste Überlegungen zu vernehmen, das Projekt für gescheitert zu erklären.

Der NORDBAYERISCHE KURIER konstatiert:

"Wie ein schleichendes Virus nagt die Gesundheitsreform am Renommee der Regierung. Was zum prägenden Projekt, zum identitätsstiftenden Wurf der großen Koalition werden sollte, droht nun in einem Fiasko zu enden. Wundern darf man sich in Berlin darüber nicht. Wer soll schon einer Reform zustimmen, die vieles undurchschaubarer, manches komplizierter und alles schließlich teurer werden lässt?"

In den STUTTGARTER NACHRICHTEN lesen wir:

"Vor allem für Angela Merkel geht es inzwischen nicht mehr nur um eine wichtige Reform, sondern um ihr politisches Überleben. Sie hat den Fonds als zentrales Element ihres gesundheitspolitischen Kurswechsels gepriesen, aber nicht erkannt, dass die SPD diesen Fonds gleichzeitig dadurch unwirksam gemacht hat, dass sie die individuelle Prämie auf maximal ein Prozent des Einkommens beschränkt hat. Das Versprechen der Kanzlerin, es werde mehr Wettbewerb geben, wird so zur Farce."

Die LANDSHUTER ZEITUNG gibt sich prophetisch:

"Das Reform-Gewürge in der Gesundheitspolitik gibt ... einen äußerst bitteren Vorgeschmack auf den Rest der Legislaturperiode. Immer häufiger reden die Koalitionäre mittlerweile vom möglichen Scheitern des Projekts, das viele als Lackmustest für das gesamte Regierungsbündnis sehen. Für die Bürger gäbe es Schlimmeres. Denn was bisher aus dem schwarz-roten Reformlabor kommt, ist wirklich keine nachhaltige und generationengerechte Problemlösung, sondern eine eklatante Verschlechterung. Für alle."

Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN glauben nicht an den Bruch der Koalition und führen aus:

"Es ist ... kein rasches Ende dieser Koalition absehbar- weil Union und SPD, siehe Gesundheits-Streit, kaum inhaltliche Gemeinsamkeiten haben, zusammen allerdings eines wollen: an der Macht bleiben, bis sich günstigere Ausgangslagen ergeben. Also droht ... Schrecken ohne Ende. Mit all den Folgen, die diese Woche gezeigt hat. Wähler-Verdruss, Wähler-Flucht zu kleinen Parteien und zu Extremisten wie der NPD, die von der Selbstlähmung der großen Koalition samt ratloser, einsamer Kanzlerin profitieren", so das Urteil der NÜRNBERGER NACHRICHTEN, mit dem diese Presseschau endet.