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Pressestimmen von Freitag, 23. April 2004

22. April 2004

"Pakt für Ausbildung"/ Referenden über EU-Verfassung/ EU-Russland

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Das Angebot der deutschen Wirtschaft zu einem freiwilligen "Pakt für Ausbildung" hat der Debatte über eine Zwangsabgabe eine Wende gegeben. Die Leitartikler der Tagespresse mischen kräftig mit:

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND kommentiert:

"Bundeskanzler Schröders politisches Geschick zeigt sich darin, dass er in der Krise den rettenden Strohhalm erkennt - und beherzt zugreift. Bei der Lehrstellenabgabe hat er es wieder einmal vorgemacht. Während sich die SPD und ihr Chef Franz Müntefering winden und zögern, das Angebot der Wirtschaft für einen Ausbildungspakt anzunehmen, handelt der Kanzler: Wenn der Pakt klappe, werde das Gesetz der Regierung nicht in Kraft treten, sagt er klipp und klar. Schröder weiß, dass ihm hier der verzweifelt gesuchte Ausweg auf dem silbernen Tablett serviert wird."

Auch der BERLINER KURIER glaubt schon an einen Ausweg für die SPD:

"SPD-Chef Müntefering hat der Industrie die Pistole auf die Brust gesetzt. Die will plötzlich Frieden, sprich einen Ausbildungspakt schließen. Damit bekäme 'Münte' etwas Vorzeigbares in die Hand. Das wahrt zwar das Gesicht des Sauerländers, doch ist das noch längst kein Sieg. (...) Wir werden die Lehrstellen zählen, die herauskommen. Und sehen, ob es eine Münte-Milchmädchen-Rechnung war."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg erwartet ein anderes Resultat:

"So einfach - oder auch einfältig - geht es in der Politik bisweilen zu, und der Wähler wundert sich: Franz Müntefering will das zu einem Bürokratie-Monstrum geschnürte Ausbildungsplatz-Abgabengesetz bis Sommer haben; freiwillige Abmachungen haben kaum noch eine Chance. Aber nicht, weil der SPD-Chef von der Wirkung des Gesetzes überzeugt wäre. Sondern weil er sonst seine neue Partei-Karriere als Papiertiger beginnen würde."

Auch der WESTFÄLISCHE ANZEIGER aus Hamm nimmt den SPD-Vorsitzenden ins Visier:

"Den linken Flügel seiner Partei im Herzen und die Gewerkschaften im Nacken, führt der erste Mann der deutschen Sozialdemokratie einen persönlichen Feldzug. Dafür mutet er seiner Partei zu, was sie im Wahljahr 2004 ganz bestimmt nicht braucht: eine Zerreißprobe."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meldet grundsätzliche Zweifel an:

"Die Botschaft hört man wohl - allein es fehlt der Glaube. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag will die geplante, umstrittene Ausbildungsplatzabgabe durch einen freiwilligen 'Pakt für Ausbildung' ersetzen. Wunderbar - aber ein solcher Pakt ist das Papier nicht wert, wenn darauf nur die sattsam bekannten Bekenntnisse wiederholt werden (...). Ein Pakt muss klare Regeln schaffen für Ausbildungsquoten, für Belohnungs- und Sanktions- mechanismen."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE aus Potsdam gibt sich völlig skeptisch. Wir zitieren:

"Am bedauerlichsten ist, dass der Streit um die Ausbildungsabgabe nun endgültig zu einem taktischen Geschacher verkommen ist. Das Angebot der Unternehmen, über einen 'Pakt für Ausbildung' für genügend Lehrstellen zu sorgen, ist nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver. Denn warum sollte auf einmal funktionieren, was die Betriebe bislang nicht geschafft haben."

Neues Thema. Auch Kanzler Schröder hält Volksabstimmungen über die geplante EU-Verfassung nicht für notwendig. Der MANNHEIMER MORGEN merkt dazu kritisch an:

"Hat ein deutsches Plebiszit zur europäischen Verfassung deshalb keine Chance, weil ja andernfalls die Lust auf mehr geweckt werden könnte? Da bildet sich eine illustre große Koalition von SPD, Grünen und Union, die die notwendige Grundgesetzänderung für ein Referendum blockiert. (...) Wie viel wohler könnten sich die Menschen im europäischen Haus fühlen, wenn sie nicht nur als Mieter geduldet, sondern auch als aktive Architekten umworben würden! Stattdessen geht die politische Klasse auf Nummer sicher und alles seinen gewohnten Gang."

Mit dem Verhältnis zwischen Europäischer Union und Russland angesichts der Osterweiterung von EU und NATO beschäftigt sich die FRANKFURTER ALLGEMEINE:

"In Osteuropa steht die EU so oder so in Konkurrenz mit Russland um die Beziehungen zu den GUS-Staaten, die Moskau wieder enger anbinden möchte. Im Baltikum wird Russland - wie zuletzt wieder in Lettland - nichts unversucht lassen, über die russische Minderheit Einfluss in der EU zu gewinnen. Weder in seiner autoritären Innen- und Wirtschaftspolitik, noch in seiner Politik gegenüber dem 'nahen Ausland' in Osteuropa und im Kaukasus wird sich Präsident Putin von einer schwächelnden EU beirren lassen. Ihm genügt es, das Bild der Westeuropäer von einem doch irgendwie gutmütigen, westwärts gewandten Russland zu bedienen. Ein schlechter Handel", resümiert die FAZ.

Redaktion: Siegfried Scheithauer.