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Pressestimmen von Freitag, 23. Januar 2004

ausgewählt von Gerd Winkelmann 22. Januar 2004

Essers Attacke vor Gericht / Verurteilte DDR-Enteignung

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'Verleumdet und beleidigt' fühlt sich der ehemalige Mannesmann- Vorstandschef: Klaus Essers Attacke auf die Staatsanwaltschaft am zweiten Tag im Prozess um Millionen-Abfindungen für ihn und andere Top-Manager bewegt an diesem Freitag erwartungsgemäß auch Deutschlands Leitartikler und Kommentatoren. Die 'tz' in München hat beobachtet:

'Sie lachen vor Gericht, amüsieren sich prächtig und demonstrieren so der Öffentlichkeit, was die Wirtschafts- und Finanzgrößen dieser Republik vom Mannesmann-Sensationsprozess halten: eine Schmieren- Komödie. 62 Millionen Euro Abfindung für Ex-Mannesmannchef Esser 'Peanuts', befindet der Vorsitzende von Deutschlands größter Bank, die bekanntlich Erfahrung im Umgang mit Erdnüssen hat. Gewiss: Esser ist nicht Sommer, der als Dank dafür, dass er die Telekom- Aktien an die Wand gefahren hat, eine satte Abfindung erhielt. Vodafone zahlte für die Übernahme von Mannesmann 188 Milliarden Euro, eine gewaltige Summe. Esser hat also durchaus seine 'Verdienste' gehabt. Aber wäre da nicht auch eine Prämie für die Mitarbeiter drin gewesen? Wenn nicht alles täuscht, hängt der Erfolg eines Unternehmens auch von ihnen ab.'

Im HANDELSBLATT aus Düsseldorf lesen wir folgendes:

'Siegesgewiss geben sich die prominenten Beschuldigten Josef Ackermann und Klaus Esser zum Auftakt des Mannesmann-Prozesses. Ackermann, der Deutsche-Bank-Chef, bringt lächelnd den Habitus des Weltmanns ins Spiel, den es in die Provinz verschlagen hat: Nur in Deutschland werde über Gehälter von Spitzenmanagern vor Gericht verhandelt. Ganz unberechtigt ist der Vorwurf nicht. Im Hintergrund aber schwingen zwei simple Versionen mit, wie der Fall gesehen werden kann, und sie bewegen die Öffentlichkeit stärker als die juristischen Finessen: Bei Variante eins hat eine engstirnige deutsche Justiz nicht verstanden, wie Spitzenleistungen in der modernen Markt- Wirtschaft honoriert werden müssen. Version zwei sieht Mannesmann als besonders krassen Fall von vielen, in denen Manager sich und ihre Freunde bedient haben. Danach ist der Hinweis auf 'marktübliche Boni' eine Umschreibung für die Ausrede, dass andere schließlich genauso ungeniert zugreifen. Auf 'den Markt' als regulierendes Element kann man sich berufen - allerdings nur dann, wenn er funktioniert. Bei Vergütungen für Spitzenmanager ist das nur
sehr eingeschränkt der Fall.'

Selten einig zeigt sich Deutschlands Tagespresse über ein anderes Justiz-Ereignis: Der Europäische Gerichtshof hat die staatliche Enteignung von DDR-Bürgern als Verstoß gegen Menschnrechte gewertet.

Der BERLINER KURIER meint dazu:

'14 Jahre mussten 70 000 ehemalige DDR-Bürger auf ihr Recht warten. Ausgerechnet unter der CDU-Regierung Helmut Kohl war ihnen ihr Eigentum ohne Entschädigung genommen worden. Dafür bekam die damalige Regierung jetzt eine donnernde Ohrfeige. Denn Eigentum ist die Grundlage unserer Rechtsordnung. Wenn es vom Staat genommen wird, dann nur gegen Entschädigung. Auf diese Grundwahrheit haben die EU-Richter die Entscheidung der bundesdeutschen Regierung zurück gestutzt. Rechtsstaat bedeutet Rechtssicherheit. Manchmal dauert es länger - aber es gilt!'

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE erscheint in Potsdam und schreibt:

'Die Enteignung der Erben von Bodenreform-Land, ohne dass sie entschädigt wurden, hatte viele Ostdeutsche am Rechtsstaat zweifeln lassen. Zumal sie in vielen Fällen vor Gericht zur Herausgabe ihrer Immobilien verurteilt worden waren und dann auf den hohen Prozess- und Anwaltskosten sitzen blieben. Dies kam einem doppelten Verlust gleich. Das gestern verkündete Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist deshalb eine schallende Ohrfeige für den Bundesgesetzgeber.'

Schließlich noch ein Blick in den BONNER GENERAL-ANZEIGER:

'Es kommt äußerst selten vor, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einem Land in dieser blamablen Klarheit einen Rechtsbruch nachweist. Die Straßburger Richter urteilten einstimmig und bewegten sich in der Kontinuität früherer Entscheidungen zum Eigentumsschutz. Insofern mag die Bundesregierung zwar die Möglichkeit von Rechtsmitteln in Erwägung ziehen. Aussicht auf Erfolg hat das kaum. Das Straßburger Urteil steht.'