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Pressestimmen von Freitag, 24.Mai 2002

Stephan Stickelmann24. Mai 2002

Deutschland-Besuch von US-Präsident Bush

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Überragendes Kommentarthema der Tageszeitungskollegen ist der Deutschland-Besuch von US-Präsident George W. Bush und hier vor allem seine Rede vor dem Bundestag.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG konstatiert:

"Nein, der Präsident ist nicht in den Bundestag marschiert, um die Gefolgschaft für einen Kriegszug gegen Saddam Hussein einzufordern. Er hatte etwas besseres vor: er wollte Deutschland und Europa an die Gemeinsamkeiten mit den USA erinnern und an die Kraft, die aus einem Bündnis erwächst. Nun muss George Bush nur noch selbst immer wieder an diese Botschaft denken - und gelegentlich danach handeln."

Auch der EXPRESS aus Köln bemerkt:

"Der als Kriegstreiber auf den Straßen Gescholtene streckte die Hand aus - mit einer nachdenklichen, von leisen Tönen geprägten Rede. Im Kampf gegen Terror werde er nicht alleine handeln, sondern mit den Freunden in Europa und in Russland, versprach er. Es war das Gemeinsame, das er immer wieder betonte. Das lässt hoffen, vor allem, weil sich Bush, Schröder und Putin bestens verstehen."

Der Kommentator des BERLINER KURIERS gibt allerdings zu bedenken:

"Bush nahm nicht ein Wort von früher zurück. Er ließ für den Irak auch die Option eines Krieges offen. Er erwähnte wieder die 'Achse des Bösen' - wenn auch nur am Rande. Doch der erste Mann im Weißen Haus malte auch das Bild einer neuen Achse. Sie zieht von den USA über Europa bis nach Russland. Er legte den Feind Russland zu den staubigen Akten des Kalten Krieges. Gorbatschow sprach vom 'Haus Europa'. Bush will nun ein noch größeres 'Haus der Freiheit' errichten."

Weitaus kritischer - und zwar in Richtung Bundesregierung - heißt es in der WELT:

"Die Amerikaner haben nach dem Terror des 11. September ihre Sicht der Welt radikal verändert. Sie haben den Wert der alten NATO herabgestuft, ihre Wertschätzung Russlands erhöht auf Kosten der Westeuropäer, und sie haben sich darangemacht, eine klare Agenda im weltweiten Anti-Terror-Krieg abzuarbeiten. Alles in einem Tempo und einer kurz-kalten Entschlossenheit, die dem Alten Kontinent fremd ist, den Deutschen besonders. Die Bundesregierung hat im spontanen Schritt nach dem 11. September zwar Neues gewagt und zum ersten Mal Soldaten in einen fernen Kampfeinsatz geschickt. Inzwischen aber hat sich das defensive Grundmuster wieder durchgesetzt: Gegen den amerikanischen Veränderungswirbel soll möglichst viel von den alten Gewissheiten gerettet werden. Das ist allzu bequem und wird dem Präsidenten zu Recht nicht reichen."

Das NEUE DEUTSCHLAND meint:

"Die Bündnis-Prioritäten der USA weisen längst in eine andere Richtung, nach Moskau, wo Bush mit Putin einen Partner hat, der den Kampf gegen den Terrorismus ähnlich bedenkenlos zu führen weiß, wie er. Bush hat diesen Prioritätenwechsel nicht nur mit der Kürze seines Berliner Zwischenstopps, sondern auch in seiner Rede vor dem Bundestag deutlich gemacht: die amerikanisch-russische Partnerschaft stand bei ihm im Vordergrund, als er die 'Verteidigung der Zivilisation' gegen die 'Achse des Bösen' beschwor. In Moskau will er sich mit Putin unter dem Stichwort 'Abrüstung' nun darauf einigen, wie viele und welche Atomwaffen gegen die 'neue totalitäre
Bedrohung' beide Staaten 'brauchen'. Das ist die Schizophrenie', die Bushs Reise hinterlässt: Im erklärten Feldzug gegen Staaten oder Terrorgruppen, die in den Besitz von Massenvernichtungswaffen geraten können, werden die eigenen geschärft."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU wendet jedoch ein:

"Wenn man nicht damit einverstanden ist, wie Washington tatsächliche oder angebliche europäische Interessen mit vertritt, muss man sie selbst energischer vertreten. Das bezieht sich keineswegs ausschließlich oder in erster Linie auf die Rüstungshaushalte. Wenn ein US-Präsident im Bundestag mit den Steigerungsraten seines Entwicklungshilfeetats angibt, darf man in Berlin ruhig nachdenklich werden. Bush hat die Europäer unzweideutig ermuntert, den eigenen Laden auf Vordermann zu bringen, und keinen Zweifel gelassen, dass er die Partnerschaft mit Putins Russland ausbauen möchte. Beides sollte für die Europäer, Deutschland vorneweg, Ansporn sein, ihre Interessen in einer funktionstüchtigen EU zur Geltung zu bringen. Was da zu tun ist, muss nicht lange erforscht werden. Osterweiterung und Verfassung. Auf Texanisch: Lasst uns das große Haus der Freiheit bauen."