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Pressestimmen von Freitag, 28. November 2003

zusammengestellt von Christina Pannhausen27. November 2003

BA-Chef Gerster weiter unter Druck / Wolfgang Schüssel in Berlin

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Die Kommentatoren der deutschen Tagespresse befassen sich mit dem Ansehen des Chefs der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, nach der umstrittenen Auftragsvergabe an die Berliner Politikberatung WMP Eurocom. Beachtung findet auch der Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel in Berlin.

Die ABENDZEITUNG aus München schreibt zum Image des Chefs der Bundesanstalt für Arbeit:

"Florian Gerster mag noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen sein. Doch auch die Rückendeckung durch die Bundesregierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Chef der Bundesanstalt für Arbeit seinem eigenen Haus geschadet hat. Der millionenschwere PR-Vertrag, der jetzt gekippt werden soll, ist es ja nicht allein. Es ist die ganze selbstherrliche Art, die an Gerster so auffällt. Wie ein Gutsherr residiert er in Nürnberg. Die Mammutbehörde sollte eben nicht mehr so abgehoben sein, sollte Arbeitslose nicht bloß verwalten. Statt präsidialer Führung war mehr unternehmerische Effizienz gefordert. Davon kann nach wie vor keine Rede sein."

Auch der TAGESSPIEGEL aus Berlin stimmt in die Kritik ein:


"Gerster ist nicht der Richtige auf diesem Platz. Er mag ein Modernisierer sein von hohen Graden, ein guter Manager, der erstaunlichen Mut hat, sich anzulegen mit einer Arbeitsverwaltung, die nach dem Motto lebt: Das war schon immer so. Aber der Vorgang um den Berater-Vertrag zeigt einen solchen Mangel an Takt und Einfühlungsvermögen gegenüber den Menschen, um deren Zukunft er sich kümmern soll, dass der Modernisierer selbst zum Modernisierungshemmnis wird. Das Schlimmste an dieser Affäre ist nicht das viele Geld, das fließen sollte. Sondern die Botschaft: Es gibt Dinge, von denen versteht ihr kleinen Leute nichts. Und das geht einfach nicht."

Die NEUE RUHR/ NEUE RHEIN ZEITUNG aus Essen konstatiert:

"Florian Gerster gehört zu jenen Zeitgenossen, die nie vernommen haben, dass Bescheidenheit eine Zier ist. Ihn treibt vielmehr ein übersteigertes Selbstbewusstsein, das jedes Fingerspitzengefühl im Umgang mit öffentlichen Geldern vermissen lässt. Er tritt auf wie ein Protz und hat offenbar keinen Instinkt für das Lebensgefühl der Menschen, die von seiner Anstalt betreut werden müssen, aber auch derjenigen, die treu und brav ihre dicken Beiträge zahlen."

Der BERLINER KURIER meint:

"Mit 1,3 Millionen Euro wollte Florian Gerster sein Image aufpolieren. Doch er hat sein Gesicht verloren. Der Werbeschuss ging voll in die Hose. Wenn es ihm heute vor dem Ausschuss nicht gelingt, die beschädigte Fassade zu reparieren, wird es ernst. Der Chef der Arbeitsanstalt könnte ganz schnell sein eigener Kunde werden, auf Jobsuche gehen müssen. Vielleicht wäre es heilsam für ihn, sich in irgendeinem Arbeitsamt mal in die lange Reihe zu stellen, zu hören, was dort über ihn gesagt wird."

Zum Besuch Wolfgang Schüssels bei Bundeskanzler Schröder in Berlin schreibt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder:

"Kanzler Schröders Einladung an Österreichs Bundeskanzler Schüssel war auch ein Stück Wiedergutmachung nach den Irritationen infolge der EU-Sanktionen 2000 wegen Schüssels Liaison mit Haiders FPÖ. Mit Schüssel lud Schröder wohlbedacht aber auch einen der Wortführer der Opposition der Kleinen im Streit um die EU-Verfassung ein, damit die Regierungskonferenz im Dezember ein Erfolg wird. Österreichs Kanzler präsentierte dem Gastgeber selbstbewusst seine Forderungen - vom Kommissar für jedes EU-Land bis hin zum überbordenden Transitverkehr. In Berlin zeigte sich gestern ein Österreich, das nicht nur der kleine Bruder des Großen sein will."

Abschließend weist auch DER FRÄNKISCHE TAG aus Bamberg auf die möglicherweise immer wichtiger werdende Rolle Österreichs in der EU hin:

"Die österreichische Diplomatie positioniert sich dabei durchaus geschickt: Sie spielt die Sachwalterin der Kleinen, und da die Riege der Beitrittskandidaten mit Ausnahme Polens komplett zur Kategorie der kleinen Staaten gehört, gewinnt Österreichs Stimme am Vorabend der EU-Osterweiterung an Gewicht. Das wachsende Misstrauen der Kleinen gegen die vereinte Übermacht der Großen könnte sich schon heute in Neapel auswirken, wo die Außenminister den EU-Gipfel vorbereiten. Denn es geht um die Zahl der Köpfe in der EU-Kommission - und damit um eine Machtfrage. Nach dem Eklat um den Stabilitätspakt scheint die Lust der Kleinen, auf dauerhafte Präsenz in der Kommission zu verzichten, weiter zu schwinden. Man kann es verstehen."