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Pressestimmen von Freitag, 31.Mai 2002

zusammengestellt von Reinhard Kleber31. Mai 2002

Stoiber auf dem DGB-Kongress / Debatte über Nitrofen-Skandal / Streit um Buch von Martin Walser

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Die Rede des Unionskanzlerkandidaten Edmund Stoiber auf dem Berliner DGB-Kongress steht im Mittelpunkt der Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen. Weitere Themen sind der Tierfutter-Skandal und die Antisemitismus-Vorwürfe gegen das neue Buch von Martin Walser.

Zum Stoiber-Auftritt schreibt DER TAGESSPIEGEL aus Berlin:

"Vorsichtiger als Edmund Stoiber hat sich kaum ein Politiker bei den Gewerkschaften zur Bundestagswahl empfohlen. Er sagte nichts Anderes als Bundeskanzler Schröder am Mittwoch. Aber er sagte es anders. Ja zum Konsens. Aber nicht um jeden Preis. Niemand hatte erwartet, dass Stoiber die Gewerkschafter begeistern würde. Anders als erwartet traf der Kandidat auf keine aufmüpfige Versammlung. (...) Stoiber hat sich auch vor den Gewerkschaftern nicht den Richtungswahlkampf aufzwingen lassen, den Schröder ausgerufen hat. Klare Aussagen und Entscheidungen zur Sozialpolitik gibt es erst nach der Wahl."

Die KIELER NACHRICHTEN merken dazu an:

"Ein Misserfolg war Stoibers Auftritt beim DGB nicht. Der Bayer ist der Versuchung nicht erlegen, den Gewerkschaftern nach dem Mund zu reden. Er hat sich durch giftige Zwischenrufe nicht aus dem Konzept bringen lassen, sondern bot den Funktionären mit einer fast schon aufreizenden Selbstsicherheit die Stirn. Das wird ihn in
Gewerkschaftskreisen nicht beliebter machen, zeigt aber immerhin: Der Mann lässt sich nicht vom kleinsten Gegenwind umblasen. Die schlechteste Voraussetzung für eine Neuauflage des Bündnisses für Arbeit unter der Regie eines Kanzlers Stoiber wäre das nicht."

Zum Skandal um Nitrofen-Funde in Ökoproduken lesen wir in der HEILBRONNER STIMME:

"Vergiftet ist nicht allein der Futterweizen, sondern auch die
politische Kultur. Je näher die Bundestagswahl rückt, desto höher ist die Dosis der Verunglimpfung. Es besteht kein Anlass, den Jauche-Kübel über die Bio-Landwirtschaft oder die Agrarministerin auszuschütten. Das Vorkommen von Nitrofen in Öko-Produkten und noch mehr dessen Verschweigen ist ein Skandal. Aber dadurch sind nicht
alle Qualitäts-Unterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft vom Acker, wie Bauernverband, Union und der zuständige SPD-Minister im Land der Agrarfabriken, Niedersachsens Uwe Bartels, glauben machen wollen."

Auch der MANNHEIMER MORGEN mahnt zu mehr Sachlichkeit:

"Renate Künast, die sich dem öffentlichkeitswirksamen Teuro-Gipfel hingeben wollte, sieht sich genötigt, auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Partner, die ihr bei der Nitrofen-Bewältigung unter die Arme greifen, sind mit der Lupe zu suchen - da ist kein Lorbeer zu gewärtigen. Andererseits sind die Rücktrittsforderungen allzu durchschaubar. Die
Verdachtsmomente konzentrieren sich auf einen Hersteller. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Staatsanwaltschaft zur Sache kommt."

Themenwechsel. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE hat mit ihrem Antisemitismus-Vorwurf gegen den neuen Roman des Schriftstellers Martin Walser eine heftige Debatte ausgelöst. Die WELT aus Berlin bemerkt dazu:

"Wenn man verstehen will, was in diesem 'Literatur-Skandal'
eigentlich geschieht, muss man über Inszenierung reden. Also über das tägliche Geschäft der Medien. Der Frankfurter Einspruch gegen Walser ist zeitlich optimal platziert. Die zeitliche Koinzidenz verkettet den Fall Walser mit dem Fall Möllemann. Dagegen kommt alles differenzierende Argumentieren nicht an. Vielleicht ist der so entstehende Eindruck ja gar nicht falsch. Nicht in dem Sinne, dass
sich in Deutschland ein Abgrund des Antisemitismus öffnete, sondern im Sinne einer Möllemannisierung des öffentlichen Diskurses, in dem mehr und mehr ein instrumentelles Verhältnis zu Fragen der politischen Moral bestimmend wird."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU setzt für eine Mäßigung der Streitparteien ein:

"So wenig man sich der heraufziehenden Debatte um den
Schriftsteller Martin Walser und den mutmaßlichen Antisemitismus seines Romans wird entziehen können, umso deutlicher wird doch, dass hier der Dunst einer seltsam ungegenwärtigen Debatte aufsteigt. (...) Ein explosives Gemisch aus Gefühlspolitik, narzisstischen Kränkungen und berechtigter politischer Moral ist angerührt. Die
Sprecher des neuen Walser-Streits sollten ihre zu erwartenden Erregungsenergien einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Der Diskursraum BRD braucht dringend eine Dunstabzugshaube."