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Pressestimmen von Freitag, 5. Mai 2006

Ute Wagemann5. Mai 2006

USA-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel// Urteil im Terrorprozess gegen Zacarias Moussaoui

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Am ersten Tag ihrer USA-Reise hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit US-Präsident George W. Bush darauf verständigt, im iranischen Atom-Konflikt gemeinsam und auf diplomatischem Weg vorgehen zu wollen. Mit dem Treffen im Weißen Haus beschäftigen sich die Kommentare vieler deutscher Tageszeitungen. Ein weiteres Thema der Presse ist das Urteil im bisher einzigen US-Prozess im Zusammenhang mit dem 11. September 2001. Die Abmachung zwischen Deutschland und den USA nach dem Treffen von Kanzlerin Merkel und US-Präsident Bush empfindet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG als Drohgebärde:

"(...) An der Seite der Bundeskanzlerin (...) hat Bush nun sein Interesse an einer diplomatischen Lösung bekräftigt.(...)Nachhaltige Wirkung wird die neue deutsch-amerikanische Übereinstimmung aber erst entfalten, wenn Teheran nicht länger glauben kann, Rußland und China agierten als seine Schutzmächte. Diesen Eindruck könnten sie mit der Billigung der Resolution korrigieren, die London und Paris dem Sicherheitsrat vorlegten. Solche Warnungen müssen überdeutlich ausfallen."

Wie sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen unter Kanzlerin Merkel geändert haben, betrachtet der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn: "Die persönliche Nähe ist da, die Unterschiede in der Einschätzung der Tagespolitik werden übertüncht, und grundsätzliche Meinungsunterschiede kommen gar nicht erst auf die Tagesordnung: So sollen also die neuen deutsch-amerikanische Beziehungen funktionieren. (...) Bei allem Verständnis, dass bilaterale Beziehungen zukunftsorientiert gehalten werden: Diese sauber kalkulierte Charmeoffensive des US- Präsidenten darf nicht dazu führen, dass heikle Punkte wie der Irak-Krieg von der Agenda verschwinden."

Die nicht angesprochenen Themen bei dem Gespräch zwischen Merkel und Bush interessieren auch die Berliner Zeitung NEUES DEUTSCHLAND:

"Die für ihre besondere Freiheitsliebe von Bush gebauchpinselte Angela Merkel verkniff sich dieses Mal jeden öffentlichen Hinweis auf den Schandfleck Guantanamo, die Freilassung des Deutsch-Türken Murat Kurnaz oder die CIA-Gefangenenflüge via Bundesrepublik. Und auch in Sachen Iran war Schulterschluss angesagt. Die deutsche Kanzlerin gilt in Washington angesichts eines innenpolitisch wohl irreparabel angeschlagenen Tony Blair inzwischen als d i e europäische Adresse, zumal sie in Teheran ebenfalls als potenzielle Vermittlerin gesehen wird."

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock beschäftigt sich vor allem mit dem zugesagten Deutschland-Besuch Bushs:

"Als kleine Geste, die den neuen Gleichklang der Verbündeten diesseits und jenseits des Atlantik illustriert, kann die Zusage des Präsidenten für den Besuch im Wahlkreis der Kanzlerin an der Ostsee gelten. Bush ist höchst wählerisch und erweist nicht jedem Staatsmann - bzw. jeder Staatsfrau - die Gunst, sich in die jeweilige politische Heimat einladen zu lassen. Statt eiskalter Lächel-Routine, wie zwischen Schröder und Bush, «menschelt» es zwischen der Ostdeutschen und dem Texaner. Das gute persönliche Verhältnis ist zudem eine gute Grundlage, um bei den schwierigen außenpolitischen Problemen gemeinsam voranzukommen."

Die Kommentatoren der Tagespresse beschäftigen sich auch mit dem US-Prozess um die Terror-Anschläge vom 11. September 2001. Der angeklagte Franzose Zacarias Moussaoui wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Todesstrafe für Moussaoui folgten die Geschworenen nicht.

Die PFORZHEIMER ZEITUNG macht sich Gedanken um die Sühne des Attentates:

"Die 3000 Menschen, die am 11. September 2001 in den Trümmern des World Trade Center ihr Leben verloren haben, bleiben juristisch wohl für immer ungesühnt: Ihre tatsächlichen Mörder sind in dieser Welt nicht mehr zu belangen. An die Hintermänner kommt man nicht heran. Bleiben Randfiguren wie Zacarias Moussaoui. Sie zu bestrafen und doch nicht mit der ganzen Schwere der Schuld zu beladen, ist keine einfache Aufgabe. Die zwölf Geschworenen in Alexandria haben gezeigt, wie sie zu lösen ist."

Einen Vergleich zwischen Moussaoui und Inhaftierten im Kriegsgefangenenlager Guantanamo ziegt die TAGESZEITUNG in Berlin:

"Zacarias Moussaoui hat in den USA einen fairen Prozess bekommen. Mit dem Urteil ist ausgerechnet dieses Verfahren, dessen Vorbereitung alle Anlagen zu einem Schauprozess hatte, zur Demonstration einer funktionierenden Justiz geworden. Nur: Der Fall Moussaoui bildet damit die Ausnahme. Die Mehrzahl der in Guantánamo Festgehaltenen hat seit inzwischen über vier Jahren weder Anklage noch Verfahren bekommen und damit keine Chance, sich zu verteidigen."

Auch die LANDESZEITUNG aus Lüneburg glaubt, dass der Sieg des Rechtssytems ein reiner Glücksfall war:

"Die Geschworenen zeigten - typisch amerikanisch - der Obrigkeit die Stirn. Obwohl die Bush-Administration im «Krieg gegen den Terrorismus» die Aushöhlung der demokratischen Werte legitimierte, blieben die Geschworenen resistent. Sie verurteilten nicht die Gesinnung Mossaouis, sondern seine Tat. Doch beschämenderweise konnte das US-Rechtssystem nur deshalb triumphieren, weil der Franzose in den USA und nicht in Afghanistan erwischt worden war. Sonst wäre er in eines der geheimen Lager verschleppt worden, die willfährige Folterknecht-Vasallenstaaten für das Imperium eingerichtet haben. "

Die DRESDENER NEUESTEN NACHRICHTEN sehen gerade in dem milden Urteil eine Strafe für den Angeklagten:

"In der nach harten Strafen rufenden amerikanischen Gesellschaft sind milde Urteile, die unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft bleiben, die Ausnahme. Insofern ist der Richterspruch im Prozess gegen einen der terroristischen Mitverschwörer vom 11. September eine Überraschung. Eigentlich wurde die Verhängung der Todesstrafe erwartet. Selbst Moussaoui hatte als Angeklagter die Hinrichtung angestrebt. So wollte er als Märtyrer in den Himmel kommen. Eine krude Logik, die das Gericht im US-Staat Virginia durchkreuzt hat."