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Pressestimmen von Freitag, 7. April 2006

Ursula Kissel 6. April 2006

Gesundheitsreform / Tarifkonflikt Metallindustrie

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Im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie hat die IG Metall das erste Angebot der Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen abgelehnt. Die Gewerkschaft droht nun mit Ausweitung der Warnstreiks. Das ist ein großes Thema in den Kommentaren deutscher Tageszeitungen. Außerdem beschäftigen sich die Leitartikler mit der geplanten Gesundheitsreform, die die große Koalition bis zum Jahresende auf den Weg bringen will.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fragt sich:

"Bis auf weiteres gilt der Primat der Fachleute. Aber welcher? Wo früher Frau Schmidt und Seehofer Lösungen schmiedeten, dort sollen jetzt gleich 16 Leute mitreden, darunter sieben Landesgesundheitsminister, die in der Sache eigentlich nur ausführende Organe sind. Von der Gewaltentrennungsidee der Föderalismusreform ist da nichts zu sehen. Und die Union braucht gleich vier Minister und eine Staatsministerin aus dem Kanzleramt, um das Gewicht einzubringen, das Seehofer früher allein auf die Waage brachte. Alle miteinander haben nicht einmal einen Monat Zeit, um eine Beschlußvorlage auszuarbeiten."

Die Berliner Tageszeitung DIE WELT kritisiert:

"Gesundheitspolitik ist Gesundbeterpolitik. Erinnern wir uns an die Schmidt-Seehofersche 'Jahrhundertreform'? Gekommen sind die Praxisgebühren, steigende Beitragssätze und - Neuwahlen. Neue Koalition, neues Glück. Heute spricht Ulla Schmidt wieder von einer 'großen Reform', ohne daß ihr jemand ins Wort fällt. Auch Norbert Blüm hält sein Rentenmodell immer noch für das beste. Es funktioniere 'nur' nicht, weil die Beitragszahler fehlten und die Bezieher immer älter würden. So verhält es sich auch mit der Logik der Gesundheitspolitiker. Alles ginge irgendwie viel besser, hätten wir nur mehr Beitragszahler und würden nicht immer älter."

Das OFFENBACHER TAGEBLATT schreibt:

"Freilich ist auch bei der jetzt angekündigten tief greifenden Reform verdächtig, dass im Grunde nur über die Eintreibungsmodalitäten der Einnahmen diskutiert wird... Der entscheidende Mangel des Systems besteht aber darin, dass in diesen künstlich austarierten Strukturen die verschiedenen Lobbys miteinander um den zu verteilenden Kuchen ringen und dass die Gesundheitsministerin als eine Art Oberschiedsrichterin fungiert. Die, für die der Gesundheitsapparat da ist die Patienten, die gleichzeitig Beitragszahler sind haben nur eine Statistenrolle."

Die BERLINER TAGESZEITUNG fordert konkretere Maßnahmen:

"Die große Koalition hat zwar ihre Ziele zur Gesundheitsreform formuliert. Sie sind aber so allgemein, dass sowohl die SPD als auch Union sich darin ohne allzu große Verbiegungen wiederfinden können. Eine Annäherung in den Kernfragen sind sie nicht - und deswegen müssen sich jetzt die Fachleute um die Einzelheiten kümmern. Dabei schienen die Experten noch vor kurzem den gesundheitspolitischen Gestaltungswillen der Kanzlerin zu behindern."

Soweit die Gesundheitsreform. Und nun zum Tarifkonflikt in der Metall- und Elektroindustrie, der sich nach der Ablehnung des ersten Arbeitgeber-Angebotes zuzuspitzen droht.

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER meint dazu:

"Der Aufschrei der Metaller nach dem Lohnangebot der Arbeitgeber überrascht nicht. Das gehört zum Ritual von Tarifverhandlungen. Die IG Metall weiß: Die erste Offerte ist nie das letzte Wort. Es ist freilich schon überraschend, dass Gesamtmetall nach wochenlangen Verhandlungen nicht mehr präsentiert als die 1,2 Prozent Lohnanhebung, die schon vor Beginn der Gespräche «angeboten» worden waren. Und es ist kein guter Stil, mit diesem Angebot erst so spät zu kommen. All dies erinnert fatal an das Jahr 1995. Damals mündete die Lohnrunde in einen unnötigen Arbeitskampf, der den Arbeitgeberverband fast zerrissen hätte. Damit sich dies nicht wiederholt, sollten die Arbeitgeber in den kommenden Verhandlungen rasch ihr Angebot nachbessern. Allerdings muss auch die IG Metall flexibler werden."

Das in Düsseldorf herausgegebene HANDELSBLATT warnt:

"Natürlich kann die IG Metall ganz andere Bataillone in Marsch setzen als Verdi. In der Industrie drohen Milliardenverluste, wenn Peters einen längeren Streik in Nordrhein-Westfalen anzetteln sollte. Aber auch für die Metaller gilt, dass sie am Ende ähnlich wie die Gewerkschafter im öffentlichen Dienst vor einem Scherbenhaufen in der Öffentlichkeit stehen werden. Bis auf ein paar notorische Berufs- und politische Zwangssympathisanten finden sich kaum noch Unterstützung für einen Konfrontationskurs. Wie wollen Verdi und IG Metall beispielsweise den fünf Millionen Arbeitslosen in diesem Lande ihre Streikziele erklären?"

Geradezu prophetisch gibt sich die HEILBRONNER STIMME:

"Nach den Osterferien kommt es zum Schwur. Beide Lager demonstrierten bis dahin nach innen, wie schwer es wieder einmal ist, sich zu einigen. Das mag von außen schwer zu verstehen sein. Doch so ticken Großverbände samt Ritualen."

Ganz und gar nicht beeindruckt ist die SÜDWEST PRESSE aus Ulm:

"Man sollte sich über das übliche Ritual von Tarifauseinandersetzungen nicht über Gebühr erregen. Es zählt eben zur Dramaturgie, dass die Gewerkschaft ihre Gefolgschaft mit Geldforderungen immer noch am besten mobilisieren kann. ... Die weitere Inszenierung verlangt, dass der Spannungsbogen mit verschärften Warnstreiks aufgebaut wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollten beide Seiten aber das Theaterstück auf ein baldiges Ende hinsteuern. Wie das aussehen könnte, scheint im Moment noch völlig offen zu sein. Der tabellenwirksame Lohnanstieg sollte jedenfalls nicht allzu weit über 2 Prozent hinaus gehen. Denn sonst werden Arbeitsplätze wegfallen."