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Pressestimmen von Freitag, 9. Juli 2004

zusammengestellt von Gerhard M Friese8. Juli 2004

Schröders Schweigen zur Yukos-Affäre/ Großer Lauschangriff

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Das Schweigen von Bundeskanzler Gerhard Schröder während seiner Russlandreise zur Yukos-Affäre und die Pläne von Bundesjustiz- Ministerin Brigitte Zypries, den so genannten großen Lauschangriff künftig auch auf Ärzte, Anwälte, Priester oder Journalisten auszudehnen, sind die beherrschenden Themen der Kommentare deutscher Tageszeitungen.

Zum Schweigen Schröders schreibt der KÖLNER STADT-ANZEIGER:

"Es ist das Ritual von Diktatoren und Autokraten, Probleme und Missstände im eigenen Land zur inneren Angelegenheit zu erklären und sich damit gegen Vorwürfe von außen abzuschotten. Bundeskanzler Schröder, in Moskau auf den Fall des Yukos-Konzerns angesprochen, übernimmt die Terminologie - und billigt damit die Methode. Zu glauben, er täte seinem Freund Wladimir Putin einen Gefallen, ist ein ebenso fataler Irrtum wie die Spekulation, Verzicht auf Kritik nütze den Geschäftsinteressen der deutschen Wirtschaft... Die Augen zu verschließen und Persilscheine auszustellen, wie Schröder es in Moskau getan hat, ist dagegen für einen Wirtschaftsförderer falsch und für einen Demokraten instinktlos."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint:

"Der Fall Jukos, die selektive Anwendung rechtsstaatlicher Mittel, die eben durch die Selektion aufhören, rechtsstaatlich zu sein - das soll kein kontroverses Thema für ein offenes und ehrliches Gespräch unter Freunden sein? Der fortgesetzte Staatsterror in Tschetschenien nicht? Über die Putinsche Verwandlung von Demokratie in Demokratismus - einen formal demokratisch aussehenden Mechanismus zur Durchsetzung der Machtvertikale - zu reden, ist dann wohl zu viel verlangt vom Bundeskanzler, dem Juristen und Demokraten... Das schadet erstens der russischen Zivilgesellschaft, zweitens aber auch der deutsch-russischen Freundschaft."

In der in München erscheinenden SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG heißt es:

"Putins autoritärer Staat schafft nicht Ordnung, er schafft Unordnung. Und er praktiziert auch nicht die Diktatur des Rechts, sondern die Diktatur der Willkür. Der Staat hat ein verständliches Interesse, ihm zustehende Steuern einzufordern. Doch während er mit brachialer Gewalt gegen den Yukos-Konzern und seinen Chef Michail Chodorkowskij vorgeht, ist von einer Zerschlagung anderer säumiger Großkonzerne der Ölbranche keine Rede."

Und in der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG lesen wir:

"Dem russischen Präsidenten geht es mitnichten um Rechtsstaatlichkeit, sondern um Monopolisierung der Macht. Dass Schröder die Demokratiedefizite seines Duzfreundes Putin mit Schweigen übergeht, ist deshalb aller Kritik wert. Die eigentlichen Sündenfälle hat Putin allerdings mit dem Krieg gegen Tschetschenien und den notorischen Verletzungen der Presse- und Meinungsfreiheit längst begangen."

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER beschäftigt sich mit den Plänen zur Ausweitung des großen Lauschangriffs:

"Die von der Bundesjustizministerin begonnene Debatte um eine Ausweitung staatlicher Möglichkeiten für den Lauschangriff ist ein durchsichtiger Versuch, im Schatten terroristischer Bedrohung völlig überzogene Eingriffsmöglichkeiten gegenüber Personengruppen zu schaffen, für die der Vertrauensschutz des Gesprächs eine existenzielle Grundlage darstellt. Man merkt bei diesem Plan Schilys eiserne Handschrift. Aber auch der Innenminister weiß, dass er das Gesetz in dieser Form nicht gegen den Willen des grünen Koalitionspartners durchsetzen kann. Insoweit darf man auf einen überarbeiteten Entwurf gespannt sein, der die Hausaufgaben, die Karlsruhe aufgegeben hat, besser und differenzierter bewältigt."

Und die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND kommentiert:

"Die Bundesregierung rechtfertigt die Ausweitung des belauschten Personenkreises mit dem Argument der Terroristenverfolgung. Das ist lächerlich und unredlich. Die Bedrohung durch islamistische Terroristen verringert sich nicht dadurch, dass man Berufsgeheimnisträger aushorcht. Islamistische Terroristen beichten nicht dem Pfarrer, dass sie einen Anschlag planen und sie erzählen es nicht Journalisten. Sie arbeiten auch nicht in diesen Berufen. Sollte die kalkulierte Provokation, die der Gesetzentwurf ist, wider Erwarten von der Regierungskoalition akzeptiert werden, wird Karlsruhe der Justizministerin ein zweites Mal und etwas lauter ins Ohr flüstern müssen."