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Pressestimmen von Mittwoch, 12. April 2006

Thomas Grimmer 11. April 2006

Prodi gewinnt Italien-Wahl

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Aus den Parlamentswahlen in Italien ist der frühere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi nur mit einem hauchdünnen Vorsprung als Sieger hervorgegangen. Ein Großteil der Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen hält Italien für politisch gespalten und beurteilt Prodis Chancen, das Land zu einen, entsprechend skeptisch.

Nach Ansicht des DARMSTÄDTER ECHOS wird Berlusconis Schatten noch eine ganze Weile über Italien schweben:

"Romano Prodi hat versprochen, 'mit Heiterkeit zu regieren, um das Land zu einen'. Dahinter steckt mehr als die übliche Rhetorik nach einem erzitterten Wahlsieg. Selten hat Italien einen Versöhner so nötig gehabt wie heute. Silvio Berlusconi hat das Land in den vergangenen fünf Jahren gespalten. Wer gegen ihn war, wurde zum Feind erklärt, als Kommunist oder Vaterlandsverräter beschimpft. Die politische Atmosphäre ist vergiftet. Es wird einige Zeit dauern, bis sich dieses wunderbare Land von der Herrschaft Berlusconis erholt hat."

Der Kommentator der HESSISCHEN/NIEDERSÄCHSISCHEN ALLGEMEINEN meint:

"Berlusconis Abwahl ist auch ein Sieg für das demokratische System als Ganzes. Dass dieser Sieg nur hauchdünn ausfiel, ist allerdings Anlass zur Sorge. Das Land bleibt politisch und sozial tief gespalten, das Klima ist vergiftet. Und es scheinen die Warnungen berechtigt zu sein, wonach demokratischen Systemen nicht nur von den linken und rechten Rändern her Gefahr droht, sondern auch aus der Mitte heraus. Dort, wo dubiose Populisten wie Berlusconi ihr Unwesen treiben."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bewundert Prodis Kampf gegen die Medienmacht Berlusconis:

"Tatsächlich ist es Prodi gelungen, den Telekraten Berlusconi zu stoppen. Der Premier hat sein Medienimperium hemmungslos für seinen Wahlkampf eingesetzt, sein Gesicht in jede Kamera gehalten und seine Slogans in jedes Mikrofon gepresst - es hat trotzdem nicht gereicht. Am Tag nach der Wahl steht der trockene Professore besser da als der schillernde Cavaliere. Auch in einer Fernseh-Demokratie kann Inhalt also über Form siegen. Das ist die gute Nachricht aus Italien."

Der Leitartikler der MÄRKISCHEN ODERZEITUNG aus Frankfurt bezweifelt, dass Prodi eine stabile Regierung bilden kann.

"Das Chaos der Stimmauszählung, das auch 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale noch kein zweifelsfreies Ergebnis erbrachte, mag seine erklärbaren Gründe haben, aber es passt in eine Atmosphäre des Niedergangs der Moral des politischen Lebens, die trotz der Traditionen im Lande ein Kennzeichen der Berlusconi-Jahre gewesen sind. Romano Prodi, in vielem der Gegenentwurf zu Berlusconi, hat die gewonnene knappe Mehrheit als stabile Grundlage seines Mitte-Links-Bündnisses bezeichnet. (...) In Wahrheit ist das Land gespalten. Dazu führt Prodi eine Koalition an, der rund ein Dutzend Parteien angehört. Das hat ihn schon einmal zu Fall gebracht. Die commedia italiana geht weiter."

Die Münchener ABENDZEITUNG schreibt:

"Das Wahldrama von Italien hat einen Ministerpräsidenten in den Ruhestand geschickt, der die Demokratie mit Füßen getreten hat und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Glückwunsch, Italien, zu dieser Entscheidung, so knapp sie auch ausgefallen ist! Und jetzt? Das Land ist gespalten - das haben die Wahlen deutlich gezeigt. Eine Überwindung dieser Spaltung ist Prodis erste Aufgabe. Und da wird es schwierig."

Der WIESBADENER KURIER sieht die nur hauchdünne Mehrheit von Prodis Mitte-Links-Bündnis als größtes Hindernis für eine Einigung:

"Ob es um Wirtschaftswachstum, Staatsverschuldung, Arbeitsmarkt oder Sozialsysteme geht, überall hat der gleichwohl von fast der Hälfte der Wähler bestätigte Chaot Berlusconi offene Baustellen hinterlassen. Ironischerweise soll nun ausgerechnet das Linksbündnis jene liberalen Reformen durchführen, die die Rechte nur angekündigt hat. Wie das mit einem so knappen Vorsprung gelingen soll, steht in den Sternen. In der zweiten Kammer braucht nur ein einziger Senator aus dem so heterogenen, von Kommunisten bis sozialliberalen Zentristen reichenden Prodi-Bündnis auszuscheren und die Regierung zerbricht."

Auch die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld meint:

"Aufatmen können die Italiener nach dem Sieg Romano Prodis noch lange nicht. Zwar hat jetzt ein sachlicher Polit-Profi das Ruder übernommen, der schon angekündigt hat, Italien wieder stärker in der EU zu verankern. Fraglich, ob er dafür eine stabile politische Streitmacht im Rücken hat. Hauchdünn setzte sich der Herausforderer mit seinem Mitte-Links-Bündnis durch. Zudem muss er auf die Kommunisten bauen, die ihn schon einmal im Stich ließen."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER plädiert vor diesem Hintergrund für Neuwahlen:

"Die Italiener haben gewählt. Entschieden haben sie sich nicht. Das rechte und das linke Lager sind gleich stark. Auf der Basis eines solchen Patts lässt sich das Land nicht regieren. Allerdings täuscht das rechnerische Ergebnis über den einzigen deutlichen Ausdruck des Wählerwillens hinweg: Berlusconi ist der klare Verlierer. Die Ver- luste im Mitte-rechts-Bündnis, die Niederlage der Regierung letztendlich, gehen ausschließlich auf sein Konto. Prodi auf die schwächstmögliche Weise als Regierungschef installiert; echte Parteien trotz Regierungsverlusts gestärkt - das kann nicht gut gehen. Das Lager-System, das sich soeben der Wahl gestellt hat, wird sich über kurz oder lang von innen her umkrempeln. Spätestens damit fällt auch jede Regierung, die jetzt installiert wird. Und spätestens dann gibt es unausweichlich Neuwahlen."