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Pressestimmen von Mittwoch, 12. Oktober 2005

Christina Pannhausen11. Oktober 2005

Richtlinienkompetenz

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Offiziell ist Angela Merkel noch nicht zur Kanzlerin gewählt und schon gibt es Überlegungen, ihre Macht einzuschränken. In den Kommentaren der deutschen Tageszeitungen geht es daher vornehmlich um die Debatte über die Richtlinienkompetenz.

Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld schreibt:

"Bekanntlich gilt Feind als die Steigerung von Parteifreund. Und einer der Freunde, auf die sich die CDU-Chefin Angela Merkel schon immer verlassen konnte, ist CSU-Chef Edmund Stoiber. Von ihrer Richtlinienkompetenz könne sie in einer Großen Koalition kaum Gebrauch machen, befindet der Bayer. Merkel wird zwar Kanzlerin, heißt die unterschwellige Botschaft, aber zu sagen hat sie nix. Auch seine gönnerhafte Bemerkung, Merkel werde sich vor allem um den Aufbau Ost kümmern, geht genau in diese Richtung. Da spricht jemand, der immer noch meint, dass das Kanzleramt eigentlich ihm gebührt."

Ähnlich sehen es die LÜBECKER NACHRICHTEN:

"Die künftige Kanzlerin könne 'nur in dosierter Form' die Richtung vorgeben, dozierte der Möchtegern-Kanzler, der nun ihr Wirtschaftsminister wird. Mit anderen Worten: Merkel hat nichts zu melden, die Politik machen andere und vor allem ich. Edmund Stoiber ist der Beweis für die alte Politiker-Sottise: Die Steigerung von Feind heißt Parteifreund."

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG mahnt:

"Stoiber glaubt offenbar, er sei noch vor der Vereidigung eine Art Zweit-Kanzler und räumt für Merkel gleich mit der Richtlinienkompetenz der Chefin auf. Wenn die designierte Kanzlerin weiterhin mit derartiger Tollpatschigkeit rechnen muss, dann gute Nacht Koalition.

Mit den Ursachen der Debatte beschäftigt sich das HANDELSBLATT aus Düsseldorf:

"In letzter Minute wollen Edmund Stoiber und Franz Müntefering publikumswirksam noch einmal die Eigenständigkeit von CSU und SPD deutlich machen. Stoiber weiß, dass er sich bald an die Kabinettsdisziplin halten muss. Müntefering wiederum muss einer murrenden SPD die große Koalition verkaufen. Schon deshalb überzeichnet er das Bild einer schwachen, von den Sozialdemokraten gefesselten Kanzlerin."

Der BERLINER KURIER sieht für Angela Merkel nur einen Ausweg:

"Frau Merkel wird bald merken, dass der Besserwisser und künftige Wirtschaftsminister Edmund Stoiber aus Bayern sich nur schwer an die Leine legen lässt. Er selbst will der Löwenbändiger sein. Merkel darf zwar Kanzlerin spielen, doch die Peitsche soll sie nicht in der Hand halten dürfen. Wenn diese Regierung kein wilder Haufen werden soll, dann muss Angela I. die Zügel fest in die Hand nehmen. Sofort!"

Der MANNHEIMER MORGEN stellt fest:

"Bayerns Noch-Ministerpräsident Stoiber signalisiert Merkel überdeutlich, dass er sich in ihrem Kabinett nicht mit der Rolle des Kellners neben der Köchin begnügen möchte. So dient die vom Zaun gebrochene Debatte über die so genannte "Richtlinienkompetenz" keinem anderen Zweck als dem Versuch, den Entscheidungsspielraum der künftigen Regierungschefin schon jetzt zu verkleinern: In seltener Eintracht kratzen SPD und Stoiber an Merkels Macht. Ihr wird deshalb die Rolle einer Moderatorin zufallen, die zwischen den Blöcken vermittelt und Kompromisslinien sucht."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg meint empört:

"Es ist das typische Macho-Gehabe, mit dem nun Müntefering und Stoiber der künftigen Kanzlerin das Regieren schwer machen wollen. Anscheinend wirkte Schröders 'Elefantenauftritt' am Wahlabend doch ansteckend: Mit einer Frau kann man(n) es ja machen. Es ist aber nicht nur die Form, die hier anwidert. Auch die Argumente sind fadenscheinig."

Der NORDBAYRISCHE KURIER aus Bayreuth glaubt, dass die künftige Kanzlerin sich von der Debatte nicht beeindrucken lässt:

"Merkel rüttelte nie am Zaun des Kanzleramtes wie Schröder, sondern wartete, bis sich die Tür einen Spalt öffnete, um sie dann unbeirrt und zielstrebig aufzudrücken. Sicher ist: Mit Merkel als Kanzlerin wird ein neuer Stil Einzug halten in der Berliner Regierung. Sie wird sich politische Autorität nicht mit "Basta"-Machtworten verschaffen können, sondern nur mit sehr viel Geschick und Fortune. Und mit nichts könnte sie am Ende die vielen Skeptiker mehr überzeugen als mit politischem Erfolg."