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Pressestimmen von Mittwoch, 13. Juni 2007

Thomas Grimmer12. Juni 2007

Machtkampf in Nahost eskaliert

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Die Situation im Gazastreifen hat sich zu Wochenbeginn weiter zugespitzt. Die rivalisierenden Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas bekämpfen sich buchstäblich bis aufs Blut, nicht wenige sprechen bereits von einem Bürgerkrieg. Wie geht es weiter im Nahen Osten? Das fragen sich auch die Leitartikler der deutschen Tagespresse.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist nicht sehr optimistisch:

'Rasche und entschiedene Vermittlungsbemühungen sind notwendig. Die Ägypter versuchen es. Doch eigentlich wäre eine umfassende Nahost-Initiative angebracht. Aber Israel ist gerade mit sich selbst beschäftigt, seine Regierung schwach. Die amerikanische Weltmacht hat im Irak eine ungelöste und in Afghanistan eine eskalierende Krise am Hals. Europa müht sich diplomatisch redlich; doch ist es noch nicht einmal gelungen, die bedrückenden Lebensbedingungen der Palästinenser ein wenig aufzuhellen. So wird die Unruhe fortdauern.'

Auch die in Hamburg erscheinende FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND sieht keine einfache Lösung:

'Im Gazastreifen ist der Konflikt zwischen den beiden palästinensischen Organisationen Hamas und Fatah kaum noch von offenem Bürgerkrieg zu unterscheiden. Der Konflikt ist an einem Punkt angelangt, an dem mit den bisherigen Standardrezepten nichts mehr zu bewirken ist. Wenn überhaupt, dann ist die Gewalt vermutlich nur durch einen völlig neuen Ansatz zu beenden. Stabilität kann noch am ehesten durch eine Intervention von außen hergestellt werden. Eine Friedenstruppe des großen Nachbarn Ägypten, die mit Zustimmung beider Seiten tätig wird, könnte eine solche Notlösung sein.'

Für das DARMSTÄDTER ECHO ist klar, wer die Hauptschuld an der Eskalation trägt:

'Die Palästinenser, die einst vom viel kritisierten Jassir Arafat immerhin zu einem Volk geformt und danach auf das Ziel eines eigenen Staates eingeschworen worden waren, zerstören im Gazastreifen offensichtlich bewusst das wichtigste Element ihrer Zusammengehörigkeit: die Hoffnung. Die Hoffnung auf einen eigenen Staat, auf Sicherheit - und auf Frieden.'

Auch die NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG schreibt:

'Die chaotische Situation hat viel mit dem Erbe von Jassir Arafat zu tun. Der charismatische Präsident von der Fatah war einerseits eine Integrationsfigur, die alle Palästinenser mühsam vereinen konnte. Andererseits hat Arafat durch sein korruptes System der Hamas erst zur heutigen Stärke und Macht verholfen.'

Die DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN sehen es differenzierter:

'Nur oberflächlich betrachtet stehen sich Hamas und Fatah gegenüber. Es sind vielmehr die jeweils militanten Flügel der beiden palästinensischen Organisationen, die sich bis aufs Messer bekämpfen. Keine der beiden Seiten ist bereit, ein staatliches Gewaltmonopol und den Aufbau demokratischer Institutionen zu akzeptieren. Dennoch hält das Nahost-Quartett noch immer einseitig am Boykott der Hamas-Regierung fest. Vor dem Hintergrund der Radikalisierung auch der Fatah ergreift das Quartett damit jedoch Partei für eine Kraft, die in gleichem Maße wie die Hamas den Zerfall der staatlichen Ordnung im Gaza-Streifen zu verantworten hat.'

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint zu den Hintergründen des Machtkampfs:

'Ursachen gibt es viele. Sie haben damit zu tun, dass man 1,5 Millionen Menschen nicht in einem übervölkerten Elendsstreifen einsperren und der Armut überlassen kann, ohne dass daraus ein Treibhaus der Gewalt wird. In Gaza ist so eine No-Future-Generation herangewachsen -die absolute Mehrheit ist unter 16 Jahren-, die sich nur auf ihre Kalaschnikows verlässt. Der internationale Boykott hat ungewollt ihre radikalen Kräfte verstärkt.'

Die SCHWÄBISCHE ZEITUNG aus Leutkirch meint:

'Der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas spielt jenen in die Hände, die schon immer der Meinung waren, Palästinenser könnten sich nicht selber regieren. Womöglich haben sie sogar ein großes Stück weit recht. Was ist denn mit dem vielen Geld geschehen, das vor allem der Westen an die Autonomie-Regierung überwiesen hat, als Arafat noch lebte? Bedeutende Summen verschwanden in den Taschen seiner Funktionäre. Gleichzeitig setzt der palästinensische Übervater den Aufbau seiner Lande aufs Spiel, als er aus politischem Leichtsinn heraus 2000 die zweite Intifada gegen Israel beginnen ließ. Gewonnen haben die Palästinenser nichts dabei. Selbst die ständig durch ihre Propaganda forcierte Klage, Opfer israelischer Willkür zu sein, klingt längst schal.'

Die NÜRNBERGER ZEITUNG sieht den Konflikt aus der Perspektive Israels:

'Oberflächlich gesehen kann es Israel nur recht sein, wenn sich die Palästinenser, so wie sie es gerade tun, gegenseitig zerfleischen. Diese Betrachtungsweise wäre jedoch kurzsichtig. Die mit zunehmender Härte geführte Auseinandersetzung zwischen den Palästinensern wird zwangsläufig eine weitere Radikalisierung im Gaza-Streifen und im Westjordanland nach sich ziehen. Und deren Auswirkung bekäme früher oder später auch Israel zu spüren. Die vorstellbare vollständige Machtübernahme der Fundamentalisten wäre aber für Israel die denkbar schlechteste Konstellation, weil es eine unheilvolle Wechselwirkung mit den anderen Krisenherden in der Region geben würde.'

Die LANDSHUTER ZEITUNG erwartet einen Showdown:

'Wenn es Präsident Mahmud Abbas und Regierungschef Ismail Hanija nicht sehr bald gelingt, die seit Wochen stetig eskalierende Gewalt unter Kontrolle zu bringen, ist ein regelrechter Krieg nicht mehr zu vermeiden. Bisher haben die terroristische Hamas und die kaum weniger extremistische Fatah es nicht zum Äußersten kommen lassen. Aber die 'Feuerpausen' sind kürzer geworden. Nunmehr könnte in beiden Lagern die Bereitschaft vorhanden sein, im Gazastreifen, aber auch im Westjordanland alles auf eine Karte zu setzen und die Entscheidungsschlacht zu suchen.'