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Pressestimmen von Mittwoch, 14. September 2005

Frank Gerstenberg14. September 2005

Wahlen in Norwegen / Wahlkampf in Deutschland / OECD-Bildungsbericht

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Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen befassen sich mit dem Wahlergebnis in Norwegen sowie den bevorstehenden Wahlen in Deutschland. Auch der Bildungsbericht der OECD ist ein Thema in den Leitartikeln.

In Norwegen hat Rot-Grün zur allgemeinen Überraschung das Regierungsbündnis abgelöst. Die BERLINER ZEITUNG beleuchtet die Gründe des Wahlergebnisses:

"Norwegen hat das beste soziale Wohlfahrtssystem der Welt, gerade kürten die Vereinten Nationen den Staat zum fünften Mal in Folge als das Land, in dem es sich am besten leben lässt. Doch gut ist nicht gut genug, die Wähler verübelten Bondevik das Festhalten an seinem sturen Steuer- und Sparkurs und forderten weitere soziale Wohltaten. Aus seinen Öl- und Gasvorkommen verfügt das Land über Rücklagen von mehr als 150 Milliarden Euro. Der abgewählte Regierungschef Bondevik wollte daraus einen Aktienstock für die Zeit nach der Öl-Blase bilden, die Norweger wollen das Geld lieber jetzt. Sie wählten links. Und so zeigt sich in Norwegen vor allem: Der Wähler ist undankbar."

Die Erklärung der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG lautet:

"Wieder haben die norwegischen Politiker ein Bad in der Ölkasse des Landes nehmen dürfen, und wieder machte beim Wähler die beste Figur, wer sich dabei wohl fühlte. Dazu gehörte dieses Mal auch Jens Stoltenberg. Was er jetzt im Wahlkampf versprach, war vor vier Jahren für ihn noch tabu, nämlich die eine oder andere Milliarde aus dem als Rentenversicherung angelegten ´Zukunftsfonds` für die Sozialpolitik einzusetzen."

Zurück in den deutschen Wahlkampf, wo ein Fernsehduell das andere jagt. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München glaubt, dass der Wähler in letzter Konsequenz nach Sympathie entscheidet:

"Der Wahlkampf ist in einer Phase, in der die ohnehin nur noch resignative Wechselstimmung schwindet. Die Wähler sind der angeblich so verschiedenen und letztlich doch so ähnlichen Konzepte über- drüssig, die Sprüche der Wahlkämpfer sind dem Publikum so bekannt, dass es bei den Debatten soufflieren könnte. In dieser Phase entscheiden nicht mehr Konzepte, sondern Gefühle: Soll der Kanzler, den man in seinen Schwächen und Stärken so gut kennt und der so souverän auftritt, wirklich ersetzt werden durch die Frau, die man noch immer nicht gut einschätzen kann?"

Die HEILBRONNER STIMME macht sich bereits Gedanken über eine mögliche Große Koalition:

"Offiziell kämpft Gerhard Schröder für sich und seine rot-grüne Koalition. Doch aus der zweiten Reihe wird schon mal das Seitentor zum Notbündnis mit der Union aufgestoßen. Namhafte Sozialdemokraten wie Steinbrück und Beck signalisieren mit ihren gezielten Bekenntnissen der neuen Mitte: Sorgt euch nicht! Auch wenn Schröder als Kanzler abgewählt wird, so bleibt die SPD doch ein verlässlicher Regierungspartner. Die Pragmatiker Beck und Steinbrück stehen als Vizekanzler bereit und werden den Dammbruch nach links verhindern. Ob sie dafür in der SPD dann auch eine Mehrheit finden, steht dahin. Aber Hauptsache, man lenkt von den dürftigen Inhalten ab."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf widmet sich den Schluss- folgerungen des neuen OECD-Bildungsberichts:

"Bildungspolitik erliegt in Deutschland einem grundlegenden Fehler: Wir definieren Bildung noch immer vom akademischen Abschluss statt vom Einstieg her. So wird Geld in Gymnasien und Oberstufen gepumpt. Kindergärten und Grundschulen aber vernachlässigen wir, obwohl sie die Voraussetzung dafür schaffen müssen, dass nicht nur Bildungsbürger-Kinder ihre Chance bekommen. Wir legen Standards für Zehntklässler und Zentralabitur fest, und schauen darüber hinweg, dass mehr als ein Zehntel aller Hauptschüler ohne Abschluss bleibt und die programmierte Sozialkarriere antritt."

In der SÜDWEST PRESSE aus Ulm heißt es dazu:

"Der OECD-Bildungsbericht 2005 enthält eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Das deutsche Bildungssystem holt auf. Die schlechte: Der Weg an die Weltspitze ist noch sehr weit. Die nach dem Pisa-Schock eingeleiteten Maßnahmen müssen nicht nur fort- geführt, sondern intensiviert werden. Klarer als bisher spricht das aktuelle Gutachten die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte an. Die Ausgaben für Schulen und Hochschulen wurden verringert, potenzielle Studenten durch die Mär von der angeblichen Akademikerschwemme abgeschreckt. Erst die rot-grüne Koalition packte die überfällige Bafög-Reform an. Dass heute ältere Erwerbspersonen in Deutschland häufiger ein Hochschuldiplom haben als die Jüngeren, sagt alles über falsche Weichenstellungen in der Bildungspolitik der 80er und 90er Jahre aus."