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Pressestimmen von Mittwoch, 16. März 2005

von Frank Gerstenberg und Jasmin Schülke15. März 2005

Rede des Bundespräsidenten / Bericht des Wehrbeauftragten

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Die meisten deutschen Tageszeitungen befassen sich mit der Rede des Bundespräsidenten zur wirtschaftlichen Lage. Dabei stößt Horst Köhler mit seiner Kritik weitgehend auf Zustimmung bei den Leitartiklern. Ein weiteres Thema ist der Bericht des Wehrbeauftragten.

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock notiert zur Rede des Bundespräsidenten:

"Horst Köhler hat seinem vorauseilenden Ruf als ´politischer Präsident` alle Ehre gemacht. In seiner streitbaren, aber eher kühl- sachlichen ´Brandrede` stellte er unmissverständlich klar, dass sich Deutschland keine Reformpause leisten darf. Des Kanzlers Agenda 2010 kann nur ein Anfang, das letzte Aufbäumen vor der Bundestagswahl 2006 darf sie nicht gewesen sein. Köhlers schonungslose Deutschland- Analyse dürfte bei den 5,2 Millionen Arbeitslosen die Hoffnung auf eine rasche Besserung der katastrophalen Situation am Arbeitsmarkt eher gedämpft haben."

Viel Lob für den Bundespräsidenten findet die PFORZHEIMER ZEITUNG:

"Die Wahrheit über Deutschland tut weh. Deshalb war es nicht nur angenehm, Horst Köhler zuzuhören. Vor allem nicht für jene, die ihm am Ende stehend Beifall spendeten: Politiker, Wirtschaftsbosse, Funktionäre - all jene also, die entscheidenden Anteil haben an der katastrophalen Entwicklung dieses Landes, die vorläufig in mehr als fünf Millionen Arbeitslosen gipfelt. Wer nun nörgelt, dass Köhler sich in Dinge einmische, die ihn nichts angehen, hat nichts begriffen. Spätestens mit dieser Rede hat Köhler bewiesen, dass er richtige Mann zur richtigen Zeit ist."

Im KÖLNER STADT-ANZEIGER heißt es:

"Wenn es um Lohnnebenkosten oder ein anderes Steuersystem geht, wird Köhler weitaus präziser als seine Vorgänger. Gleichwohl kann man ihm bislang nicht vorwerfen, parteipolitisch zu agieren. Es ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, wenn er die ´Agenda 2010`, und damit auch die Regierung, als mutig bezeichnet. Aber der Bundespräsident scheut sich nicht davor zurück, den Deutschen mehr abzufordern - und zu- zutrauen. Köhler nutzt sein Amt und seinen Sachverstand, um das zu erklären, was Regierung und Opposition bislang dem Volk offen- sichtlich nur bruchstückhaft nahe bringen konnten: Wandel als Notwendigkeit und Chance zugleich."

Nicht nur Beifall spendet die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG dem Präsidenten:

"Der Bundespräsident hat gestern erneut bewiesen: Von Wirtschaft und ökonomischen Zusammenhängen versteht er etwas. In diesem Sinne ist es gerade in diesen Zeiten gut, einen Fachmann für die drängendsten Fragen der Zeit, als Staatsoberhaupt zu haben. Die weitergehende Frage jedoch hat Horst Köhler bis heute immer noch nicht eindeutig beantwortet: Versteht er auch etwas von Politik? Der Präsident gefällt sich in der Rolle des mahnenden Moderators. Dabei erweckte er am Dienstag einmal mehr den Eindruck, dass er gerne mehr als nur moderieren würde: nämlich selbst das Steuer in die Hand nehmen. Doch das ist nicht seine Aufgabe."

Auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München hält offenbar nicht alles für Gold, was glänzt:

"Über den Tag hinaus bleibt von dieser Rede vor allem eine Botschaft erhalten: Zurück in die Zukunft. ´Deutschland ist sich selber untreu geworden`, sagte der Präsident. Die Symbole, die er für die vermissten Tugenden der Vergangenheit wählte, waren der VW Käfer und Ludwig Erhard. Das war ein verräterischer Rückgriff auf die gute alte Zeit, eine merkwürdig unmoderne Verklärung der Zeit des Wiederaufbaus in Deutschland, deren Herausforderungen mit der Gegenwart nicht zu vergleichen sind. Auch Europa, die große politische Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte, tauchte bei Köhler nur ex negativ auf: in Form der regulierungswütigen Brüssler Bürokratie."

Einer der großen Skandale des vergangenen Jahres waren Misshandlungen bei der Bundeswehr. Bei der Beschwerdestelle gingen denn auch so viele Briefe von Rekruten wie selten zuvor ein.

Die NÜRNBERGER ZEITUNG kommentiert den entsprechenden Bericht des Wehrbeauftragten:

"Marode Unterkünfte, schlechte Stimmung, trübe Karriere-Aussichten: Soldat sein ist in Deutschland derzeit ein lausiger Job. Kein Wunder, dass Berlin noch eine Weile an der Wehrpflicht festhalten will: Qualifizierte Freiwillige werden sich kaum in muffige Wanzenburgen mit eingebautem Beförderungsstau locken lassen."

Die FULDAER ZEITUNG kritisiert ebenfalls die Zustände bei der Bundeswehr:

"Die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist in den vergangenen Jahren immer weiter auseinander gegangen. Die Festlegung eines neuen Aufgabenschwerpunktes für die Bundeswehr - nämlich der Einsatz im Ausland - ist auf Grund der veränderten Bedrohungslage für Deutschland selbst zwar grundsätzlich richtig. Ohne eine zusätzliche finanzielle und materielle Ausstattung der Soldaten ist dieses Unterfangen aber nur mit massivem Unmut der Betroffenen durchzuziehen. Das billigend in Kauf zu nehmen, wirft Penner der Bundesregierung zu Recht vor. Aber auch der letzte Bericht des 68- Jährigen wird am Status quo wohl nichts ändern. Erst wenn die ersten Soldaten sterben, weil sie vielleicht nicht über einen ausreichenden Splitterschutz verfügten oder in einem nicht ausreichend gepanzerten Fahrzeug saßen, wird die Diskussion über Mängel bei der Bundeswehr auch Ergebnisse bringen. Nur ist es dann für einige zu spät."