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Pressestimmen von Mittwoch, 17. Januar 2007

Martin Muno 16. Januar 2007

Machtkampf um Stoiber

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Die Auseinandersetzung innerhalb der CSU um die politische Zukunft von Parteichef und Ministerpräsident Edmund Stoiber ist ein Dauerbrenner in den Kommentarspalten der deutschen Zeitungen. Im Blickpunkt stehen dabei auch die Berichte einer Boulevard-Zeitung über das Privatleben von Agrarminister Horst Seehofer, dem gute Chancen eingeräumt werden, Stoiber als CSU-Vorsitzender zu beerben.

Die Berliner TAGESZEITUNG (taz) fragt sich angesichts des tagelangen Hickhacks:

"Was geht eigentlich in der CSU vor? Schwer zu sagen. Fest steht immerhin: Es ist zunächst einigen mittleren und - nach längerer Zeit dann - auch einigen höheren Chargen in der bayerischen Regierungspartei aufgefallen, dass der Ministerpräsident nicht mehr der Jüngste ist. Dass er schon seit längerer Zeit an der Macht ist. (...) Überraschung! Und weiter? Nichts weiter. Über Politik wird nicht gestritten."

Das sieht die PFORZHEIMER ZEITUNG ganz ähnlich:

"Selten war so offensichtlich, dass es erst um Macht und dann um die Sache geht; nicht einmal das Wohl der eigenen Partei kommt vor dem persönlichen Vorteil. Gepaart mit der Heuchelei, mit der die Protagonisten zu Werke gehen, haben die Vorgänge eine verheerende Wirkung. Die Botschaft ist: Politik ist nicht nur ein Spiegel unserer Gesellschaft, sie ist viel schlimmer. Hauen und Stechen gehören selbstverständlich dazu, erlaubt ist alles, was nicht auffliegt. Dieses Fazit der weiß-blauen Chaos-Wochen kann schon jetzt gezogen werden und es ist von größerer Bedeutung als die Frage, wer in Bayern das Sagen hat."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG bemerkt:

"Noch einmal kann die CSU die Entscheidung über Stoiber nicht vertagen, nicht einmal bis zum Herbst. Das wäre eine zu gute Gelegenheit für die fortgesetzte Selbstverstümmelung der Partei und eine Einladung, die Demontage des Vorsitzenden zu vollenden. Seine Autorität ist schon jetzt dahin. (...) Es ist verständlich, dass Stoiber nicht unter solchen Umständen abtreten und daher Zeit für sich gewinnen will. Einen die Form wahrenden Abschied, etwa im Frühjahr, würde die Partei ihm gewähren. Doch viel mehr nicht."

Im Bonner GENERAL-ANZEIGER heißt es:

"Aus dem Problem ist längst ein Drama mit selbstzerstörerischen Zügen geworden. Die Droge Macht hat das Bewusstsein eines Ministerpräsidenten angegriffen und, ihre Überdosis seinen Realitätssinn umnebelt. Was fehlt, ist ein geordneter und stilvoller Wechsel an der Spitze des wirtschafts- und bildungspolitisch so erfolgreichen Freistaats, in dem es auch die demokratische Freiheit zum würdigen Rückzug von der Macht gibt."

Und die OSTSEE-ZEITUNG mutmaßt:

"Wenn Edmund Stoiber sich nun doch zum Rückzug bereit erklären sollte, dann geschieht dies weniger aus später Einsicht in die wirkliche Lage, sondern vor allem auf Druck der Partei selbst. Der erfolgreiche Landesvater hat nicht nur sich, sondern die gesamte CSU in die Bredouille gebracht. Einem bayerischen Landesvater wird nahezu alles verziehen, nur eben nicht der Verlust der absoluten Mehrheit der weißblauen Staatspartei CSU."

Der Berliner TAGESSPIEGEL geht auf die Berichte über das Privatleben Seehofers ein und schreibt:

"Die Bande der Heimlichtuer sitzt im Herz der CSU. Sie hat dafür gesorgt, dass das Private ins Öffentliche getragen wurde, um dort seine perfide politische Sprengkraft zu entfalten. Sie war es, die auch den Zeitpunkt und damit die Stärke der Detonation bestimmt hat. Er liegt inmitten eines bizarren, fast anachronistisch anmutenden Machtkampfs."

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG heißt es:

"Neue Zeiten, alte Zeiten. Bundeskanzler Konrad Adenauer tat einstmals Gerüchte über homosexuelle Neigungen seines Außenministers Heinrich von Brentano mit dem gelassenen Satz ab: 'Was wollen Sie denn, meine Damen und Herren, bei mir hat er es noch nicht versucht.' Solche Gelassenheit wünschte man der CSU nach den Meldungen über das Privatleben von Horst Seehofer. Die Indiskretionen über Seehofer sind die schmutzige Schaumkrone auf der tobenden christsozialen See."

Der WESER-KURIER aus Bremen richtet seinen Blick auf CSU-CHef Stoiber:

"Das Gefolge köpft nun doch seinen König, weil es ihm inzwischen jede Sauerei zutraut. Etwa, dass er jenen Fehltritt, der nun auch seinen potenziellen 'Kronprinzen' Horst Seehofer unmöglich macht, selbst an die Medien durchstecken ließ. Angesichts dessen glaubt niemand ernsthaft, dass erst ein leicht vorgezogener Parteitag im September über den Fortgang von Stoibers Karriere entscheidet."

Der Kommentator der FRANKFURTER RUNDSCHAU denkt in eine ganz andere Richtung:

"Seehofer könnte gegen den eigenen Willen zum Symbol für etwas ebenso Wichtiges werden: Das moralische Monopol bestimmter Lebensformen gerät ins Wanken. Wer immer den lechzenden Kollegen von 'Bild' Seehofers außereheliche Affäre steckte; sollte jemand geglaubt haben, den braven Familienvater Stoiber damit in den Stand des Vorbilds zurückzuversetzen, dann hat er sich getäuscht. Günther Beckstein hat Recht: Auch in der CSU ist politischer Erfolg nicht mehr unbedingt abhängig von der Anpassung im Privaten an mehr oder weniger realistische Moralvorstellungen. Was immer nach Stoiber kommt: Eine andere, der Wirklichkeit nähere Partei wird es sein."

Gänzlich empört zeigt sich dagegen der MANNHEIMER MORGEN:

"Hier wird nicht versucht, die Doppelmoral von Wasserpredigern anzuprangern, die selbst Wein trinken, sondern einen populären Konkurrenten zu diskreditieren. Wieder einmal zeigt sich, dass es in der Welt mehr Scheinheilige als Heilige gibt. Politiker sind nicht besser als der Rest der Gesellschaft, auch wenn sie die heile Welt der Familie in ihren Sonntagsreden loben."