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Pressestimmen von Mittwoch, 18. Februar 2004

17. Februar 2004

Kündigung für Lkw-Maut-Anbieter Toll Collect

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Nun ist also alles aus: Mangelndes Vertrauen in den Partner und die Enttäuschung über eine der spektakulärsten Pleiten der Industrie- Geschichte haben Verkehrsminister Manfred Stolpe dazu bewogen, den Vertrag mit dem Maut-Anbieter Toll Collect zu kündigen. Stolpes Entscheidung ist d a s dominierende Thema der Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen.

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin schreibt:

"Die bittere Wahrheit lautet, dass Daimler und Telekom seit Monaten ihren Auftraggeber vor sich hertreiben und öffentlich vorführen. Die Konzerne hatten ein Technologieprojekt der Extraklasse versprochen, die satellitengestützte und streckenabhängige Maut-Erfassung. Ein weltweites Novum, das weit mehr können sollte, als lediglich Autobahngebühren erheben. Toll Collect stellt den Anspruch, das Verkehrsleitsystem der Zukunft schlechthin zu sein. Und an diesem Anspruch sind Daimler-Chrysler und Telekom kläglich gescheitert. (...) Frühestens in zwei Jahren hätte ihr System voll in Betrieb gehen können, dreißig Monate nach dem eigentlich vereinbarten Starttermin. Daran muss die Entscheidung der Regierung gemessen werden."

Der MANNHEIMER MORGEN meint zu dem Fall:

"Das Management von Toll Collect hat den braven Aushilfsminister Stolpe regelrecht vorgeführt, bis zur letzten Minute gezockt und einen verhängnisvollen unternehmerischen Fehler begangen: Obwohl das Konsortium das modernere Produkt anzubieten hat, öffnet es mit seinem kompromisslosen Kurs nun der technisch hinterher hinkenden Konkurrenz aus Österreich und der Schweiz das Tor in einen Markt, den es so gut wie sicher hatte. Bei einem ehemaligen Staatsbetrieb wie der Telekom mag man Stolpes Entscheidung noch als eine Art Betriebsunfall abtun, für einen Weltkonzern wie DaimlerChrysler ist sie eine Blamage. Toll Collect hat ein Geschäft vermasselt, von dem beide hätten profitieren können: Industrie und Politik. Unglaublich, aber wahr."

Das HANDELSBLATT beleuchtet vor allem unternehmerische Blamage:

"Auf Seiten der Industrie haben sich die Konsorten Telekom und Daimler-Chrysler hinter ihrem Gemeinschaftsunternehmen Toll Collect versteckt und eigentlich nie den Eindruck vermittelt, dass sie das Projekt wirklich wollen. Wo waren Ricke und Schrempp? Es kann nicht sein, dass die Unternehmen einen Milliardenauftrag ohne Risiko wollen, unrealistische Fristen versprechen und dann beim Projektmanagement versagen. Andererseits kann man es ihnen nicht übel nehmen, dass sie sich nur höchst ungern von einem offenbar sehr vorteilhaften Vertrag trennen."

Dagegen fragt die DIE WELT nach der politischen Verantwortung:

"Niemand soll sich durch die Behauptung blenden lassen, die Kündigung bedeute einen Befreiungsschlag für die Politik. Die einzige Befreiung, die der Bundeskanzler jetzt suchen sollte, ist die Trennung von seinem rundum glücklosen Bundesverkehrsminister Stolpe. Gewiss, Stolpe ist an dem Vertrag nicht schuld; den hat sein unseliger Vorgänger Bodewig abgeschlossen – möglicherweise zur Eile angetrieben durch Bundeskanzler Schröder selbst. Doch Stolpe hat viel zu lang mit sich spielen lassen und in der Zwischenzeit keine Alternative entwickelt."

Noch deutlicher wird der KÖLNER STADT-ANZEIGER:

"Stolpe hat sich verhalten wie ein Sozialarbeiter vom Typ mildeste Sorte, der einem Rückfalltäter auch nach der zehnten Straftat noch eine großzügige Besserungsprognose attestiert. Da zeigt sich eine euophorische Technik-Gläubigkeit, in der das Wünschbare über das Machbare triumphierte. Stolpes Kündigung kommt zum denkbar spätesten Zeitpunkt. Die Folgen dieser Geldvernichtung muss nun die gesamte Bevölkerung tragen – und Stolpe. Sein Rücktritt ist moralisch geboten. Jetzt."

Zum Abschluss zitieren wir die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die einen Blick in die Zukunft wirft:

"Das Wirken der Industriebosse in Sachen Maut schadet nicht nur ihren Unternehmen, sondern beschädigt auch den Hochtechnologie-Standort Deutschland. Wenn ausländische Firmen demnächst beim Kampf um Aufträge deutsche Konkurrenten diskreditieren wollen, dann müssen sie nur das Wort 'Maut' flüstern. Der erklärte Industriepolitiker Gerhard Schröder weiß, wie gefährlich diese Imagekrise der Marke 'Made in Germany' ist, gerade in der Informationstechnologie, bei der die Bundesrepublik doch stets eine Spitzenposition angestrebt hat. Deshalb gibt es nun einen tiefen Riss zwischen ihm und den beiden Unternehmen (...)"

Die Redaktion hatte Reinhard Kleber.