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Pressestimmen von Mittwoch, 18. Mai 2004

Gerhard M Friese18. Mai 2004

Das Scheitern Leipzigs als Olympiastadt

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Das Scheitern Leipzigs als Bewerber für die olympischen Sommerspiele 2012 ist das beherrschende Thema der Kommentare deutscher Tageszeitungen. Mit Mängeln in der Verkehrs-Infrastruktur und beim Beherbungskonzept begründete das Internationale Olympischen Komitee seine Entscheidung.

Dazu schreibt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

"Das Lausanner Todesurteil für die Leipziger Olympia-Hoffnungen wirft Fragen auf, die nicht unbeantwortet bleiben dürfen. IOC-Präsident Jacques Rogge hält Leipzig plötzlich als Austragungsort für zu klein. Wenn das stimmt, hätte man die Pleiße-Stadt erst gar nicht ins Messer laufen lassen dürfen. Hamburg hätte bessere Chancen gehabt. Aber es ist geradezu ungeheuerlich, dass einem Land wie Deutschland nicht mehr zugetraut wird, die fehlende Infrastruktur in acht Jahren aufzubauen."

Mit der Abkehr von der Abkehr von der Gigantomanie der Spiele beschäftigen sich auch andere Blätter. In der OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera heißt es:

"Bei Großereignissen wie Olympischen Spielen geht es eben auch ums Renommee einer Weltsportregierung, die sich nur zu gern im Lichte von Millionen-Metropolen sonnt. IOC-Chef Rogge selbst brüskierte Sachsens und Deutschlands Olympiavorkämpfer, als er verwundert fragte, warum nicht die international bekannte Stadt Hamburg ins Rennen geschickt wurde... Pro Leipzig hätte eine prinzipelle Abkehr vom olympischen Großspektakel in den Metropolen der Welt bedeutet. Ob das für die Spiele und den Sport besser wäre, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Fürs IOC aber wäre es eine Art Schattensprung gewesen."

Und die Berliner Zeitung NEUES DEUTSCHLAND ergänzt:

"Einerseits können einem die Leipziger Leid tun. Super setzten sie sich im Wettbewerb durch. Dann aber ließen sie sich ihr bodenstämmiges Erfolgs-Personal wegmobben. Nun haben landbekannte Nieten in Nadelstreifen alles an den Baum gekarrt. Andererseits ist den Leipzigern auch einiges erspart geblieben. Denn dass das IOC weiter auf Gigantismus statt auf urbane Verträglichkeit setzt, hat es mit seiner gestrigen Entscheidung bewiesen."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER betont die Verantwortung der Politiker:

"Das IOC-Urteil ist verheerend, nicht nur weil sich Deutschland als Weltmeister im Organisieren von Großveranstaltungen versteht. Ebenso schwer wiegt das Eingeständnis, dass sich der deutsche Bewerber von der Kriterien-Bewertung hat überraschen lassen. Man darf das eine Ohrfeige nennen für die Führung des deutschen Sports, aber mindestens auch einen Nasenstüber für deren politische Aufsicht, die diesen Auftrag offenbar zu nachsichtig versehen und zu lange weggeschaut hat. Innenminister Schily war immerhin Manns genug, sich die blutige Nase vor Ort in Lausanne verpassen zu lassen."

Mangelnde Unterstützung in der deutschen Bevölkerung vermutet die Potsdamer MÄRKISCHE ALLGEMEINE:

"Ein Grund für das Scheitern ist vielmehr, dass die Deutschen offenbar nicht in der Lage sind, sich mal gemeinsam für etwas ins Zeug zu legen. In Sachen Patriotismus haben die Deutschen die von Bismarck politisch beendete Vielstaaterei längst nicht überwunden. Eifersüchteleien bremsten die Grundidee der 'one family' aus, mit der die Sachsen weiterkommen wollten. In Lausanne hat gestern schließlich nicht nur ein emotionsloser Computer abgestimmt." Ähnlich die PFORZHEIMER ZEITUNG:

"Danke IOC-Komitee, Sie haben dem deutschen Steuerzahler eine Menge Geld für eine von vornherein aussichtslose Bewerbung erspart. Genauso unaufgeregt wie Jaques Rogge die Entscheidung verkündet hat, sollte sie auch in Deutschland aufgenommen werden. Mal ehrlich: Die Bewerbung hat außerhalb Leipzigs Stadtgrenzen die Menschen nicht wirklich bewegt. Sie war, wenngleich medial aufgebauscht, nie ein Gesprächsthema."

Erleichterung verspüren die STUTTGARTER NACHRICHTEN:

"Eine andere Frage ist, ob es überhaupt sinnvoll ist, dass Leipzig oder eine andere deutsche Stadt in absehbarer Zeit wieder vors IOC treten. Deutschland steht politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich vor einem tief greifenden Wandel, der Reformstau ist vielerorts noch nicht aufgelöst. Auch der Sport muss sich neu positionieren, inhaltlich und strukturell. Deshalb sollte man Leipzigs Niederlage nicht als ein deutsches Drama inszenieren: Man muss auch mal verlieren können."