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Pressestimmen von Mittwoch, 2. November 2005

Ulrike Quast1. November 2005

Zweifel an Großer Koalition / Rückzug Stoibers

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Angesichts der Führungskrise bei den Sozialdemokraten wachsen die Zweifel, ob eine Große Koalition überhaupt zustande kommt. Die Kommentatoren der Tagespresse beschäftigen sich mit den Erfolgsaussichten des Projekts.

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG ist der Ansicht:

"Soll aus der großen Koalition noch was werden, muss die SPD sich entscheiden: regierungslinks oder oppositionslinks? Kann sie das nicht, läuft es heraus auf Neuwahlen. Dort wartet ein Desaster: Kein Kanzler, der im Alleingang für fünf Prozent gut ist, kein Parteichef, der die Flügel zusammenhält, die Partei im programmatischen Dauerstreit - und richtig links dann noch Oskar. (...) Mehr noch als über einen Kopf muss die SPD nun über ein Konzept entscheiden."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG lesen wir:

"Das Schicksal der großen Koalition liegt nun zunächst in der Hand der SPD. Sie muß wissen, was sie will. (...) Die Union muß nun darauf sehen, ob die SPD kurzfristig in der Lage ist, wieder Ordnung im eigenen Haus zu schaffen und sich zu einer gemeinsamen Regierung zu bekennen. Doch wie verbindlich können Entscheidungen und Zusagen von Münteferings Nachfolger sein? Die Zerrissenheit der SPD, der Müntefering zum Opfer fiel, bleibt auch nach seinem Abgang - ebenso wie die Versuchung einer rot-rot-grünen Koalition. (...) Es ist an der SPD, zu erklären, ob sie sich noch der Verantwortung stellt, die sie als bisherige Regierungspartei für den Zustand des Landes und dessen Zukunft trägt."

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN kommentieren:

"Angetreten waren Union und SPD eigentlich mit dem Ziel, Deutschland nach vorn zu bringen. Stattdessen stürzen sie das Land in die Krise. Hinter verschlossenen Türen mühen sich die Unterhändler um einen Neuanfang, und zur gleichen Zeit regieren vorn, auf offener Bühne, Postengeschacher und Karriere-Mobbing. Wie geht es weiter? Diese Koalition steht auf der Kippe, soviel ist klar. Hilflos muss CDU-Chefin Merkel mit ansehen, wie sie zum Spielball widerstreitender Kräfte wird, die an den großen Wurf nicht mehr glauben oder denen, schlimmer noch, die ganze Richtung nicht passt."

Im BADISCHEN TAGBLATT heißt es:

"Beide große Volksparteien erwecken den Eindruck, dass es ihnen in erster Linie um Macht geht. Das wiederum hat zur Folge, dass sich noch mehr Menschen als bisher von der Politik abwenden. Über Richtlinienkompetenz eines Kanzlers/einer Kanzlerin braucht man nicht mehr zu streiten, wenn es auf beiden Seiten an Richtung und Kompetenz mangelt."


Ein weiterer Teilaspekt des Koalitionstheaters ist die Ankündigung des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, er bleibe definitiv als Regierungschef in Bayern. Die Berechenbarkeit der SPD bei den Gesprächen über eine Große Koalition mit der Union habe sich mit dem Rückzug Münteferings vom Parteivorsitz verändert, begründet Stoiber seine Absage.

Der BERLINER KURIER schreibt dazu:

"Stoiber hat die erste Gelegenheit beim Schopfe gepackt und sich aus Berlin in die sichere Festung München abgesetzt. Hätte ein Politiker der SPD sich so verhalten, Stoiber wäre der erste gewesen, der Verrat schreit. Zu sich selbst ist er nachsichtiger. Doch die Begründung für die Fahnenflucht ist ebenso fadenscheinig, wie die Absetzbewegung selber. (...) Eine gute Figur macht der Bayer nicht. Er ist eben nur ein Held, der vorm Gefecht abhaut."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN meinen:

"Was für eine Eierei. Was für eine blamable Vorstellung. Lafontaine hat's ja wenigstens versucht, ehe er verlogen stiften ging. Aber Stoiber? Zum Gotterbarmen. Nein, so einen können wir nicht gebrauchen in Berlin, wenn es darum geht, mit kraftvollen, mutigen Strichen Perspektiven für dieses Land aufzuzeichnen. Zwei Schritte vor, drei zurück, das hatten wir lange genug. Wolfratshausen, Gemeinderat, das wäre vielleicht die richtige Aufgabe - falls er sich denn dafür entscheiden könnte."

Auch die OSTSEE ZEITUNG aus Rostock blickt mit Häme auf Stoiber:

"Der Möchtegern-Minister hat sich aus dem Staube gemacht, bevor es ihm auf dem glatten Berliner Polit-Parkett die Beine weghaut. Eine Träne nachweinen wird ihm kaum jemand - nicht einmal die Union. Stoiber ist ohnehin keiner, der sich auf Dauer einer Kanzlerin Merkel hätte unterordnen können. Am Kabinettstisch wäre er einer von vielen - ohne Hofstaat wie in Bayern. Der angekündigte Rücktritt des SPD-Parteichefs war nur noch der Anlass, um seine längst gefällte Entscheidung kundzutun."

Abschließend die WETZLARER ZEITUNG:

"Nach Ausbruch der Chaostage in der SPD am Montag nun die gute Nachricht: Stoiber bleibt in Bayern. Damit tut er das, was er immer tun wollte. Deutschland dienen. In die künftige Regierung Deutschlands gehören Charakterköpfe, die nicht beim leichtesten Windstoß umfallen. In dieser Regierung haben Leute nichts zu suchen, deren Eitelkeit und Glaube an die eigene Unfehlbarkeit ihnen den Blick auf die Wirklichkeit verstellt."