1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Mittwoch, 20. Juli 2005

Reinhard Kleber. 19. Juli 2005

Gezerre um Inkrafttreten der Rechtschreibreform / Besuch der CDU-Vorsitzenden Merkel in Paris

https://p.dw.com/p/6w7y

Das Gezerre um die Rechtschreibreform scheint kein Ende zu nehmen. So nehmen denn auch die Leitartikler der deutschen Zeitungen den leidigen Konflikt ins Visier. Weitere Kommentarthemen sind der Frankreich-Besuch der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und die Anti-Terror-Strategie der britischen Regierung.

Zunächst zum Rechtschreib-Streit. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE gibt zu bedenken:

"Wenn Politiker sich der Sprache zu bemächtigen versuchen, ist ihre Blamage unausweichlich. () Den entscheidenden Fehler haben die Kultusminister begangen, als sie einige Teile der Rechtschreibreform für unstrittig erklärten und diese zum 1. August in Kraft setzten. Darin liegt eine enorme Anmaßung gegenüber dem Rechtschreibrat. Denn der Rat kann sich seine Tagesordnung nicht von den Kultusministern diktieren lassen. Die Minister haben ihn eingesetzt und legen ihm nun Steine in den Weg."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München mahnt zur Besonnenheit:

"Die Verunsicherung wird vorerst bleiben, sie wäre auch nicht dadurch zu beseitigen, dass man sklavisch am einmal Beschlossenen festhält oder die Sache zur Gänze kippt. Es käme nun darauf an, noch einmal Atem zu holen und jene Teile der Reform zurückzunehmen, die ein Irrweg waren. Das betrifft vor allem die ausufernde Getrenntschreibung, die zu sinnentstellenden Konstruktionen führt und die Möglichkeit beschneidet, unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedlich auszudrücken. In diesem Bereich wiederum Zwischenlösungen und Varianten anzustreben, würde die Verwirrung nur noch steigern; da müsste es heißen: zurück zur alten Schreibweise ohne Wenn und Aber."

Klare Worte findet auch die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg:

"Diese Kultusministerkonferenz braucht wirklich kein Mensch mehr. Erst ließ sie zu, dass die einheitliche Schreibung zerredet wurde. Dann geriet sie unter Druck, suchte nach einem Ausweg und erfand den deutschen Rechtschreibrat. Der kreißt noch, aber die Geburt wollen die Kultusminister trotzdem nicht abwarten. Man sollte Bayern und Nordrhein-Westfalen gratulieren, dass sie ihren Kindern diesen Schlingerkurs ersparen."

Angesichts des Bekenntnisses von CDU-Chefin Merkel zur deutsch-französischen Partnerschaft lesen wir im HANDELSBLATT aus Düsseldorf:

"Seit der Erweiterung auf 25 Mitglieder ist eine gleichberechtigte Abstimmung mit allen EU-Partnern Fiktion. Längst bilden sich je nach Thema Allianzen zwischen gross und klein. Akzentverschiebungen aber würde es unter einer Kanzlerin Merkel wohl trotzdem geben - beispielsweise eine stärkere Hinwendung nach Osten. Der Rheinland-Pfälzer Kohl schaute stets nach Paris, der Niedersachse Schröder zunächst instinktiv nach London. Die Ostdeutsche Merkel wird dem Verhältnis mit den reformfreudigen östlichen EU-Nachbarn größere Bedeutung beimessen."

Eine andere Interpretation gibt DIE WELT aus Berlin:

"Merkel nutzte ihren vielbeachteten Besuch an der Seine stilsicher, um ihrer Idee einer Neuausrichtung der Europapolitik deutliche Konturen zu verleihen. Ein "Weiter so" der Achsenmächte ParisBerlin und BerlinMoskau wird es mit ihr nicht geben, solange darüber der gesamteuropäische Rahmen aus dem Blickfeld gerät. Das ist ein kluger Ansatz, schließlich brachte der gern bemühte deutsch-französische Europamotor außer einer ostentativ zur Schau gestellten Männerfreundschaft zwischen Chirac und Bundeskanzler Schröder zuletzt wenig zuwege. Die Achsen haben sich überlebt, London will und muss stärker einbezogen werden ebenso wie die kleineren EU-Mitglieder."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN warnen vor zu hohen Erwartungen:

"Wie sich die Zeiten ändern: Vor knapp einem Jahr kämpfte Merkel gegen das böse, aus Bayern angeklebte Etikett der Leichtmatrosin. Jetzt wird sie als Heilsbringerin verklärt und von Erwartungen fast erdrückt. Politik kann durchaus etwas bewirken. Wunder vollbringen aber kann sie nicht. Dass ausgerechnet die angebliche Führungselite scheinbar zu diesem Glauben neigt, verblüfft ein wenig. Und ohne von Einzelfällen auf alle zu schließen: Dass 90 Prozent aus diesem Kreis eine stärkere Wertorientierung der Politik anmahnen, lässt angesichts der Kette von Korruptionsskandalen in der deutschen Wirtschaft auch kurz stutzen."