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Pressestimmen von Mittwoch, 21. Dezember 2005

Stephan Stickelmann20. Dezember 2005

Steinbrück ermahnt Ministerkollegen / Deutsche Arbeitslose sollen Erntehelfer werden

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Erstmals hat Bundesfinanzminister Steinbrück seine Kabinettskollegen energisch davor gewarnt, kostspielige Forderungen zu stellen. Damit beschäftigen sich zahlreiche Tageszeitungen in ihren Kommentaren. Beachtung findet ferner die Absicht der Regierung dafür zu sorgen, dass deutsche Arbeitslose künftig auch als Erntehelfer eingesetzt werden.

Das in Düsseldorf erscheinende HANDELSBLATT stellt fest:

"Nach einem Monat können die Wähler nur mit Staunen auf ihre neue Regierung blicken. Hatte Merkel nicht angekündigt, es müsse hart gespart werden? Das Geld jedenfalls, das Steinbrück mühsam bei der Abschaffung von Eigenheimzulage und anderen alten Vergünstigungen hat streichen können, geben seine Kollegen sofort wieder aus. Unter dem Strich bleibt ein Minus für den Etat. Die Merkel-Regierung erwirbt sich das Etikett Scheinsparer: Im Prinzip will sie sparen, nur leider kommt es nicht dazu. Wen wundert es da, dass im Denken der Deutschen die Haltung tief verwurzelt ist, Sparen könne nicht ernst gemeint sein?"

Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn ergänzt:

"Peer Steinbrück muss erleben, dass die Kabinettsmitglieder vorweihnachtliche Unbescheidenheit in Gestalt von kräftigen Nachforderungen an den Tag legen. Steinbrück, der die am Ende gen Nullpunkt geschwundene Autorität seines Vorgängers Eichel stets vor Augen hat, musste die Reißlinie ziehen. Er machte der großen Koalition eindeutig klar, dass über noch so populäre Ausgabenwünsche nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur im Kabinett und in keinem Fall gegen seinen Willen entschieden werden kann."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN sehen es ähnlich - Zitat:

"Steinbrück muss sich unbeliebt machen. Es muss seinen Kabinettskollegen auf die Füße treten, damit sie nicht abheben. Die desolate Kassenlage lässt nicht einmal kleinste Sprünge zu. Für diese undankbare Aufgabe, die Edmund Stoiber um keinen Preis übernehmen wollte, braucht der Kassenwart die volle Rückendeckung der Kanzlerin. Sonst kämpft er auf verlorenem Posten. Vorgänger Hans Eichel wurde zum Hanswurst, als Gerhard Schröder genug vom Sparen hatte. Steinbrück macht nicht den Eindruck, dass er sich eine solche Demontage gefallen ließe."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU schließlich sieht im kommenden Jahr noch viel Ungemach auf die große Koalition zukommen und begründet dies wie folgt:

"Ab Januar wird in drei Ländern Wahlkampf sein. Auch dafür wird jetzt schon ein wenig geübt. Das bedeutet: Nach den vergleichsweise bequemen Mini-Gesetzen dieser ersten Wochen beginnt für die große Koalition direkt nach der Ferienpause das Jahr der Bewährung, der Ernstfall. Einerseits gibt es Profilierungsbedarf in beiden Parteien, gleichzeitig aber den Zwang zur Einigung bei den vielen offenen Fragen, von Haushalt über Gesundheitsreform bis zum Niedriglohnbereich. Völlig offen ist bisher, ob und wie das zusammengeht. Vielleicht wird man das Dezember-Gerangel rückblickend doch noch für Weihnachtsfrieden halten."

Themenwechsel: Auf Vorschlag von Bundesarbeitsminister Müntefering will die Regierung dafür sorgen, dass mehr deutsche Arbeitslose einen Job als Erntehelfer finden. Auf diese Weise sollen mehr als 30.000 ausländische Saisonarbeitskräfte ersetzt werden. Die Initiative wird von den Zeitungskommentatoren durchweg kritisch bewertet.

Die LANDSHUTER ZEITUNG meint:

"Franz Müntefering sollte sich die Frage stellen, warum die Erntehelfer in der Landwirtschaft häufig Ausländer sind. Die Antwort ist traurig, aber wahr: Knochenjobs für einen geringen Lohn sind deutschen Arbeitslosen schwer zu vermitteln. Zugegeben: Hier hat sich etwas getan. Punktuell konnten Arbeitsagenturen den Anteil der deutschen Kräfte durch kluges Vorgehen und sanften Druck auf die Arbeitslosen erhöhen. Doch flächendeckend wird das kaum möglich sein."

In der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG lesen wir:

"Hand aufs Herz: Der Durchschnittsdeutsche würde keine Erdbeeren pflücken oder Spargel stechen, falls es seinen gepolsterten Stuhl im Büro nicht mehr gäbe und seine fachliche Ausbildung eine andere wäre. Die Bauern wollen ihn ebenfalls nicht: Er wäre zu langsam, sein Rücken schmerzt schon beim Gedanken an Feldarbeit, Wind und Wetter ist er auch nicht gewöhnt. Auf der anderen Seite die Osteuropäer: Zügig, fleißig, anspruchslos. Viele von ihnen kommen seit Jahren, machen die Arbeit gut und zur Zufriedenheit der Landwirte. Alle beteiligten Seiten haben deshalb Nachteile davon, wenn Franz Müntefering mehr Arbeitslose für den Acker verpflichten will."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER stellt folgende Frage:

"Warum, bitteschön, kommen osteuropäische Erntehelfer in hellen Scharen nach Deutschland, während einheimische Arbeitslose fürs Nichtstun Geld bekommen? Die deutschen Arbeitslosen seien unmotiviert, würden sich nach wenigen Tagen krankmelden, die Ernte mangels Pflückern vergammeln, heißt es. Aber - sind Polen und Ukrainer wirklich fleißiger, fitter und härter im Nehmen? Oder ist ein Lohn von 5,17 bis 5,92 Euro - also unter Hartz-IV-Niveau - einfach nicht Anreiz genug für archaisch harte Arbeit, wenn man davon dauerhaft auf deutschem Preisniveau leben soll? An diesem Kaufkraft- Dilemma ändert die pfiffigste Arbeitslosen-Quotierung nichts."

Und auch die in Heidelberg erscheinende RHEIN-NECKAR-ZEITUNG kommt zu dem Schluss:

"Müntefering hat das Thema nicht zu Ende gedacht. Wer zur Ernte gezwungen wird, macht dem Landwirt nur Ärger. Osteuropäer, voran die Polen, haben einen triftigen Grund, zu kommen. Für sie ist der Lohn hoch, sie leben bescheiden. Außerdem ist ihr Aufenthalt auf wenige Wochen begrenzt. Müntefering hat er mit der Idee des Ernteeinsatzes den Griff in die arbeitsmarktpolitische Klamottenkiste gewagt. So jedenfalls lässt sich Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht abbauen."