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Pressestimmen von Mittwoch, 27. Juni 2007

Ursula Kissel26. Juni 2007

Inhaftierter Schüler in der Türkei / Blair als Nahost-Vermittler

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Der Fall des inhaftierten deutschen Schülers in der Türkei und die Vermittlerrolle des an diesem Mittwoch aus seinem Amt scheidenden britischen Premierministers Blairs im Nahost-Friedensprozess sind Themen der Kommentare in den deutschen Tageszeitungen. Zunächst zum Fall des 17-Jährigen, der wegen angeblichem sexuellen Missbrauchs in der Türkei im Gefängnis sitzt. Inzwischen beschäftigen sich die Regierungen in Deutschland und der Türkei mit dem Fall. Außenminister Steinmeier setzt sich für eine Freilassung des Schülers ein, die türkische Regierung verweist auf eine unabhängige Justiz.

Dazu schreibt der KÖLNER STADT-ANZEIGER:

'Deutsche Politiker nutzen das Sommerloch, um sich in dieser Angelegenheit zu profilieren - und ob ihrer Ahnungslosigkeit zu blamieren. Ein deutscher Richter würde sich bedanken, wenn ein türkischer Ministerpräsident oder anatolischer Landespolitiker ihm empfiehlt, einen türkischen U-Häftling auf freien Fuß zu setzen. Wenn nun die türkischen Behörden darauf bestehen, für den deutschen Gefangenen könne es keine Extrawurst geben, so ist das nachzuvollziehen. Nichtsdestotrotz ist zu fordern, dass der junge Mann gegen Kaution auf freien Fuß kommt. Und dass alles getan wird, damit er - wie auch immer das Urteil lautet - die Strafe in Deutschland verbüßen darf.'

Die in Berlin erscheinende Tageszeitung DIE WELT ist der Meinung:

'Wie rasch sich ein Ferienflirt doch zum harten Politikum auswachsen kann: Von einem 'sehr unglücklichen Fall' spricht der türkische EU-Chefunterhändler Ali Babacan in Brüssel, von einem 'bedauerlichen Schicksal' der deutsche Außenminister. Beide meinen den seit Ostern in der Türkei inhaftierten 17-jährigen Marco W. (...) Entscheidend bleibt, dass der Fall den Rechtfertigungsdruck auf die türkische Justiz weiter verschärft. Nur deshalb verweisen Babacan und Außenminister Gül atemlos auf die rechtsstaatlich legitimen Elemente des Vorgangs.'

Kritik an der Darstellung des Falls in Deutschland kommt vom Berliner TAGESSPIEGEL:

„Ein deutscher Junge als Opfer orientalischer Willkür und anatolischer Prüderie in einem finsteren Verlies – das ist das Bild, das gezeichnet wird. (…) Politiker wie der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff beschreiben Marcos Schicksal als Zeichen großer kultureller Unterschiede zwischen der Türkei und Deutschland. Wenn überhaupt, offenbaren sich im Fall Marco W. aber höchstens kulturelle Unterschiede zwischen Briten Und Deutschen. Verhängnisvoll für Marco war nämlich nicht ein altmodischer türkischer Sexualkodex, sondern die Anzeige einer britischen Urlauberin, die ihre 13-jährige Tochter Charlotte gefährdet sah.'

Abschließend gibt die FRANKFURTER RUNDSCHAU zu bedenken:

'Schnell ist da Skandal geschrien. Nicht zu Unrecht. Die Zustände in türkischen Haftanstalten sind unhaltbar. Für jeden. Schon lange. Marco und der Gerechtigkeit ist mehr geholfen, wenn weniger laut geschrien und leise verhandelt wird. Freikommen muss er. Ein faires Verfahren verdient er. Dazu ist es nötig, der Türkei trotz berechtigter Kritik Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.'

Zum zweiten Thema. Auf dem Nahost-Gipfel im ägyptischen Scharm-el-Scheich und beim Treffen des so genannten Nahost-Quartetts wurde über den Fortgang des Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern beraten. Ein neuer Vermittler soll helfen, den Prozess in Gang zu halten. Ob der an diesem Mittwoch aus seinem Amt scheidende britische Premierminister Blair als Nahost-Sondergesandter der Richtige ist, das wägen auch die Kommentatoren ab.

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen analysiert sowohl die Gespräche über die Lage im Nahen Osten als auch die Vermittlerrolle Blairs:

„Von der Wiederbelebung des Friedensprozesses ist die Rede. Große Worte für etwas Bewegung in Nahost. Ob die Konfliktparteien dabei aus der Sackgasse kommen, in der Israelis und Palästinenser gleichermaßen stecken, darf bezweifelt werden. (…) Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair ist als Vermittler im Gespräch. Das klingt nicht übel, vor allem in den Ohren von Europäern und US-Amerikanern. Ob Araber und Palästinenser den Irak-Kriegsbefürworter allerdings als geeignet ansehen, mag jedoch dahingestellt sein.“

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE bewertet die Bedeutung eines Nahost-Sondergesandten:

'So wichtig Vermittler sein mögen - vor allem kommt es auf die Beteiligten an. Das jüngste Gipfeltreffen im ägyptischen Scharm-el-Scheich kann - ob mit Blair oder einem anderen - nur weitere Erfolge zeitigen, wenn alle von dem Konflikt Betroffenen selbst endlich über ihren Schatten springen und mutige Schritte wagen. (...) Dem scheidenden Premierminister Blair war die Schaffung eines Friedens in Palästina übrigens immer ein wichtiges Anliegen, auch wenn manche das angesichts der Ereignisse im Irak nicht glauben mögen.'

Der NORDKURIER aus Neubrandenburg schreibt zu Blair:

'Fraglos hat der Premier bewiesen, dass er Konflikte wie den in Nordirland regeln kann. Das hilft ihm im arabischen Raum aber kaum. Dort gilt Blair selbst unter Gemäßigten als politisch verbrannt - wegen seiner bedingungslosen Unterstützung des amerikanischen Irak-Abenteuers ('Bushs Pudel'), aber auch wegen seiner Weigerung, frühzeitig eine Waffenruhe im jüngsten israelischen Krieg gegen den Libanon zu unterstützen. Nicht gerade Referenzen für den Nahost-Job.'

Über die Eignung Blairs als Nahost-Vermittler lässt sich auch die Münchner ABENDZEITUNG aus:

'Der Mann, der den Irakkrieg mit vom Zaun brach, als ehrlicher Makler? Der letzte Gefolgsmann von George Bush im Westen als Schiedsrichter für eine Nahost-Lösung? Tony Blairs Chancen sind so klein wie der Problemberg groß. Wenn er erwartungsgemäß scheitert, dann hätte das Nahost-Quartett durchaus Alternativen. Wir, die Deutschen, hätten da jemanden. Einen, der sich auf den Krisenherden (...) Respekt verschafft hat. Es wäre ein guter Job für Joschka Fischer.'