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Pressestimmen von Mittwoch, 28. Mai 2003

zusammengestellt von Herbert Peckmann. 27. Mai 2003

Kölner Islamistenführer freigelassen /SPD-Streit um Reformen und NRW-Koalition

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Die Gerichtsentscheidung, den als 'Kalif von Köln' bekannten Islamistenführer Metin Kaplan nicht an die Türkei auszuliefern und die Streitpunkte in der SPD um die Sozialreformen und die Koalition im Düsseldorfer Landtag sind Kommentarthemen der deutschen Tageszeitungen.

Zur Freilassung des Islamistenführers schreibt der Bonner GENERAL-ANZEIGER:

"Es gibt gerichtliche Entscheidungen, die schwer oder überhaupt nicht zu verstehen sind. Die des Düsseldorfer Oberlandesgerichts über die Unzulässigkeit einer Auslieferung des selbsternannten 'Kalifen von Köln', Metin Kaplan, gehört zumindest zur ersten Kategorie. Der radikale Türke und Propagandist eines islamischen Gottesstaates in der Türkei sowie einer Weltherrschaft des Islam, hierzulande vorbestraft wegen eines öffentlichen Mordaufrufs, und mutmaßlicher Planer eines Sprengstoffanschlags auf das Mausoleum Attatürks in Ankara, ist wieder auf freiem Fuß und kann trotz Verbotes der militanten Islamisten-Organisation 'Kalifenstaat' weiter hinter den Kulissen die Fäden ziehen. So bleibt uns also ein krimineller Extremist erhalten."

Auch DIE WELT sieht das Urteil kritisch. Das Blatt schreibt:

"Es ist kein Naturgesetz, dass rechtskräftig verurteilte Verbrecher, die zudem die hiesige Demokratie beiseite räumen wollen, unbegrenzt die deutsche Gastfreundschaft genießen dürfen. Auch das Düsseldorfer Urteil, wonach der Islamistenführer Metin Kaplan nicht an die Türkei ausgeliefert werden darf, bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Es wägt die möglichen rechtsstaatlichen Verfahrensfehler in der Türkei jedoch nur unzureichend ab gegen die Sicherheitsinteressen Deutschlands."

Anders kommentiert der WESTFÄLISCHE ANZEIGER:

"Das Problem scheint in der Erwartungshaltung zu bestehen, die aus dem Fall des 'Kalifen von Köln' einen Prüfstein für die Wehrhaftigkeit des deutschen Staates werden ließ. Das musste zu 50 Prozent schief gehen, kann doch gerade der Rechtsstaat keine Exempel statuieren. Schauprozesse sind Merkmale von Unrechtssystemen. In gewisser Weise darf man sogar froh sein, dass der Kalif nicht abgeschoben wurde."

Themenwechsel. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zeigt sich überzeugt, dass die Sozialdemokraten die Reformagenda von Bundeskanzler Gerhard Schröder absegnen werden. In dem Blatt heißt es:

"Der Kanzler wird (...) die Agenda 2010 mit sicherer Mehrheit durch den Sonderparteitag bringen. Dann hat er etwas Zeit gewonnen, aber auch Autorität, um jene in der Fraktion unter Druck zu setzen, die ihn bei den entscheidenden Abstimmungen im Bundestag die Mehrheit kosten könnten. Selbst ein Erfolg auf dem Parteitag wäre aber nur ein gewonnenes Rückzugsgefecht, sollte es Gerhard Schröder nicht gelingen, die irrlichternde SPD in Nordrhein-Westfalen vom Bruch der rot-grünen Landeskoalition abzubringen. Auf der Klausurtagung der Bundestagsfraktion lag das Thema wie ein Schatten über den Abgeordneten. Sie wussten, was langfristig auf dem Spiel steht: die Zukunft des rot-grünen Projekts ... ."

Mit der Koalition in Nordrhein-Westfalen befasst sich auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Die Chancen stehen 50 zu 50, ob die Düsseldorfer Koalitionäre Rot-Grün in Düsseldorf nun fortsetzen oder sich die SPD aus Angst vor dem Schwächetod lieber in einen politischen Selbstmord auf Raten flüchtet. Die Hoffnung von Regierungschef Steinbrück jedenfalls, gemeinsam mit der FDP in Westerwelles Heimatland mehr an sozialdemokratischer Politik durchsetzen zu können als mit den Grünen, bleibt auch wahlstrategisch ausgesprochen verwegen. (...) Rot-Grün in Düsseldorf braucht ganz offenkundig wieder mal einen wirklichen Neuanfang - einen mit politischem Anspruch."

Ganz anders die NORDSEE-ZEITUNG aus Bremerhaven:

"Die rot-grüne Ehe in Düsseldorf ist zerrüttet. Selbst wenn sich die beiden Partner, was eher unwahrscheinlich ist, noch einmal zusammenraufen sollten - die tiefe wirtschaftliche Krise in Nordrhein-Westfalen kann unter derartigen Bedingungen nicht bewältigt werden."

Und schließlich fragt DER TAGESSPIEGEL aus Berlin:

"Was also will Steinbrück erreichen? Vielleicht das: Platzte die Koalition, könnte sich Steinbrück gerade noch rechtzeitig vor den Kommunalwahlen (2004) und den Landtagswahlen (2005) als Kraftmensch präsentieren, seine Partei von der grünen Lähmung erlösen und vielleicht durch ein Bündnis mit den Liberalen der Union den natürlichen Koalitionspartner klauen, wenn nicht gar mit der CDU selbst regieren."