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Pressestimmen von Mittwoch, 29. Juni 2005

Gerhard M Friese. 28. Juni 2005

Vertrauensabstimmung im Bundestag / Fusionsreaktor wird in Frankreich gebaut

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Die für den 1. Juli im Deutschen Bundestag geplante Vertrauensfrage von Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Entscheidung, den Fusionsreaktor ITER in Frankreich zu bauen, sind die beherrschen Themen der Kommentare deutscher Tageszeitungen.

Zur Vertrauensfrage des Bundeskanzlers meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Versprochen hat er einst, 'nicht alles anders, aber vieles besser' zu machen. Jetzt macht es Kanzler Schröder genauso, wie Kanzler Kohl es 1982 gemacht hat. Die Vertrauensfrage, die er am Freitag stellt, ist genauso gezinkt, wie es damals die von Kohl war... Der politische Unterschied: Kohl hatte damals glänzende und dann auch bestätigte Aussichten für die Neuwahlen. Schröder hatte bei der Ankündigung seines Manövers allenfalls die vage Hoffnung, dass sich die Stimmung für ihn ändert, nach dem Motto: Man wirft sich in die Schlacht, und dann wird man sehen. Bisher hat er aber sehen müssen, dass für ihn alles nur schlimmer geworden ist. Der Kanzler hat sich verspekuliert.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU kritisiert:

"Was Vertrauen ist und was Misstrauen, kann der normale Alltagsmensch sehr wohl noch unterscheiden. In der Politik erleben wir nun aber jeden Tag eine neue Auslegung dieser eigentlich so klaren Begrifflichkeiten. Dabei geht es zunächst immer noch - nur - um die Inszenierung einer gescheiterten Vertrauensabstimmung bei gleichzeitiger Wahlkampfvorbereitung."

Und der MANNHEIMER MORGEN kommentiert:

"Kanzler und Parteichef sind gezwungen, die Vertrauensfrage trickreich scheitern zu lassen, sie bringen den Bundespräsidenten in Erklärungsnöte und das Verfassungsgericht womöglich auch. Alles in allem: Ein unwürdiges Schauspiel."

Die Berliner Zeitung NEUES DEUTSCHLAND geht auf den Vorschlag von SPD-Chef Franz Müntefering ein, die SPD-Abgeordneten sollten sich der Stimme enthalten:

"Nicht alle haben das verstanden. Mag sein, dass der eine oder die andere beim Bildungsabend zum Thema Dialektik gefehlt hat. Aber dass ihr Kanzler gar kein Vertrauens-, sondern ein Misstrauensvotum begehrt, weil er sich so vom Acker machen will, hätten sie doch mitbekommen können."

Die ESSLINGER ZEITUNG verweist auf die Rolle des Bundespräsidenten:

"Köhler bleiben zwei Möglichkeiten: Er kann Neuwahlen zulassen gestützt auf eine fragwürdige Interpretation der Verfassung. Oder aber er lehnt Neuwahlen auf dieser Grundlage ab. Es ist keine einfache Entscheidung, aber die zweite Variante ist die sichere: Lässt Köhler Neuwahlen zu, besteht das Risiko, dass mitten im Wahlkampf das oberste Gericht dieses Verfahren für verfassungswidrig erklärt. Das käme enormem Autoritätsverlust der Verfassungsorgane gleich. Der Königsweg steht Schröder immer noch offen: Er könnte zurücktreten. Warum er dies nicht tut, steht auf einem anderen Blatt."

Mit der Entscheidung, den Fusionsreaktor ITER in Frankreich zu bauen befasst sich die Berliner Tageszeitung DIE WELT:

"Die Entscheidung, den Fusionsforschungsreaktor 'Iter' in Frankreich zu bauen, ist eine der wichtigsten Investitionen in unsere Zukunft überhaupt. Diese Technologie hat das Potenzial, die sich bereits am Horizont abzeichnende Energiemisere der Menschheit, der Industrienationen wie der Entwicklungsländer, zu vermeiden... Besonders in Deutschland gibt es auch kritische Stimmen, die diese Forschung für Geldverschwendung halten. Gewiss, noch ist nicht sicher, ob ein Fusionskraftwerk technisch machbar ist. Doch wir müssen es probieren. Das ist fast unsere einzige Chance.

Und in der HEILBRONNER STIMME heißt es:

"Während sich in deutschen Landen friedlich die staatlich subventionierten Windräder drehen und den teuersten Strom der Republik produzieren, hat Frankreich ein beispielloses Großprojekt für die Energieversorgung der Zukunft an Land gezogen. Denn auf der Suche der Antwort, wie der gewaltige Energiebedarf in Europa und der übrigen Welt auch morgen gedeckt werden kann, sind Windräder ein hübsches Aperçu, aber kaum mehr... Die Kernfusion mag bisher bestenfalls ein theoretisch funktionierendes Experiment sein. Aber das Wagnis lohnt sich. Der Blick auf den Rohölpreis zeigt, dass man sich um die Energie von morgen früh genug Gedanken machen muss."