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Pressestimmen von Mittwoch, 29. März 2006

Gerhard M Friese28. März 2006

Fall Abdul Rahman / Bundesverfassungsgericht zu Sportwetten

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Die Einstellung des Verfahrens gegen den zum Christentum übergetretenen Afghanen Abdul Rahman in Kabul und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Staatsmonopol bei Sportwetten bestimmen an diesem Mittwoch die Kommentarseiten deutscher Tageszeitungen.

Im Mittelpunkt der Kommentare deutscher Tageszeitungen im Fall Rahman steht das Verhältnis des Islam zu den Menschenrechten. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt dazu:

"Der Fall dieses wegen Apostasie vom Gericht mit dem Todesurteil Bedrohten hat international so viel Staub aufgewirbelt, daß man in Afghanistan mit möglichen Konvertiten künftig vielleicht anders verfahren wird, sprich: die Religionsfreiheit wenigstens insoweit achtet, als man den Glaubenswechsel nicht juristisch verfolgt. Natürlich wird sich die traditionell geprägte afghanische Gesellschaft nur langsam verändern; eine 'freie Religionswahl', auch Abwahl, wie sie in westlichen Staaten praktiziert wird, wird es dort so bald nicht geben. Das zeigen auch die heftigen Demonstrationen gegen seine Freilassung."

Der WIESBADENER KURIER meint:

"Wenn ein Wechsel vom Islam zum Christentum nur unter dem Vorwand der Geisteskrankheit straffrei bleibt, zeigt das, wie schwierig bis unmöglich das gütliche Nebeneinander mit einer solch intoleranten und Unterwerfung heischenden Religion zu gestalten ist... Überall dort, wo der muslimische Glaube in geltendes Recht umgesetzt wird, wo also wie in zahlreichen islamischen Staaten die Scharia gilt, zeigt sich die Unvereinbarkeit dieser archaischen Religionspraxis mit den in der UN-Charta festgeschriebenen elementaren Menschenrechten, wie Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit - Stichwort Karikaturen - und Gleichberechtigung der Frau."

Die FULDAER ZEITUNG sieht auch die afghanische Justiz beschädigt:

"Gleichwohl ist die Art und Weise, mit der sich die afghanische Justiz nun des Problems entledigt, nicht minder schlimm: Den Konvertiten kurzerhand für krank zu erklären, heißt doch nichts anderes als: Wäre Rahman gesund, hätte er den Tod verdient. Die Erkenntnis, dass Religionsfreiheit ein Grundrecht aller Menschen ist? Fehlanzeige. Die Einsicht, dass die Scharia mit einem Rechtsstaat unvereinbar ist? Auch nicht vorhanden. Letztlich zeigt der Fall, wie weit Afghanistan noch von der Moderne entfernt ist."

Und in der PFORZHEIMER ZEITUNG heißt es:

"Dass Italien und wohl auch das Saarland Rahman Asyl anbieten, mag da trösten. Doch damit darf die Angelegenheit nicht ad acta gelegt werden. Afghanistan sollte sein Verhältnis zu den Menschenrechten klären. Denn grundsätzlich lässt sich der enorme Einsatz des Westens für dieses Land schwerlich rechtfertigen, solange es eine Koexistenz von mittelalterlicher Rechtsprechung und freiheitlichen Werten praktiziert."

Das Bundesverfassungsgericht hat das staatliche Monopol für Sportwetten unter Auflagen für mit der Verfassung vereinbar erklärt. Allerdings muss der Staat nach Ansicht der Richter seine Anstrengungen in im Kampf gegen die Spielsucht verstärken.

Dazu schreibt der WESTFÄLISCHE ANZEIGER aus Hamm:

"Das Urteil wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Die Aufforderung der Richter an den Staat, mehr für die Aufklärung über das Suchtpotenzial von Wetten zu tun, ist nicht mehr als ein Feigenblatt. Wer heute spielen will, ist längst nicht mehr auf Wetten wie Oddset oder die Überbleibsel alter DDR-Lizenzen angewiesen. Das Internet kennt keine Grenzen und keine moralischen Zeigefinger. Die Diskussion erinnert etwas an die Verlogenheit, mit der auf der einen Seite vor den gesundheitlichen Gefahren von Zigaretten und Alkohol gewarnt wird, auf der anderen Seite die Einnahmen daraus gerne in Kauf genommen werden."

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER ist ähnlich skeptisch:

"Das Bundesverfassungsgericht hat den Staat in die Pflicht genommen. Wenn er das staatliche Wettmonopol schon mit den Gefahren der Spielsucht begründet, dann muss er auch aktiv etwas dagegen tun. Bisher sind die staatlichen Oddset-Gesellschaften aber eher durch aggressive Werbung um potenzielle Spieler aufgefallen. Jetzt versprechen sie, man werde künftig 'noch konsequenter' gegen die Spielsucht vorgehen. Ob mehr als Heuchelei herauskommt?"

Die in Düsseldorf erscheinende WESTDEUTSCHE ZEITUNG wirft einen Blick auf die Nutznießer:

"Das Geld aus der staatlichen Zockerbude Oddset fließt weiter in den Profifußball. Und auch der Breitensport, der sich zu einem großen Teil aus der staatlichen Glückspielerei finanziert, zählte gestern zu den Siegern. Ihm gewährten die Richter zumindest einen Aufschub. Denn irgendwann wird das Glücksspiel-Monopol fallen. Wenn Suchtprävention Gesetz wird, gibt es keinen Grund mehr, freien Buchmachern die Teilnahme am Markt zu verbieten."

Das Berliner Blatt NEUES DEUTSCHLAND begrüßt das Urteil der Karlsruher Richter:

"Jedenfalls stellen sie in ihrem Urteil zum staatlichen Monopol für Sportwetten den Schutz derer, die mit ihrer krankhaften Leidenschaft Haus und Hof riskieren, sowohl über staatliche Finanzbedürfnisse als auch über private Gewinnabsichten. Gleichzeitig waschen sie dem Gesetzgeber den Kopf, der diesen Bereich bislang allzu lax reguliert hat. Das Karlsruher Urteil schiebt der hemmungslosen Werbung staatlicher Wettanbieter einen Riegel vor... Man wünscht sich, dass das Urteil nicht nur in Sachen Sportwetten Gehör findet. Dies wird aber nicht geschehen - jede Wette!"

Dem SCHWARZWÄLDER BOTEN aus Oberndorf geht das Urteil nicht weit genug:

"Das gestrige Wischiwaschi-Urteil ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten. Die bis Ende 2007 gesetzte Frist zeugt ebenfalls nur von Pharisäertum: Bis nach der Fußball-WM darf der Wettsucht fröhlich gefrönt werden!"