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Pressestimmen von Mittwoch, 3. Mai 2006

Ute Wagemann 2. Mai 2006

Deutsche Geiseln im Irak sind in Freiheit / Reformvorhaben der großen Koalition auf den Weg gebracht

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Mehr als drei Monate saßen sie in Geiselhaft im Irak, Dienstag Nachmittag kam dann die gute Nachricht: die beiden deutschen Ingenieure René Bräunlich und Thomas Nitzschke sind frei. Die Kommentare vieler deutscher Tageszeitungen beschäftigten sich mit der Frage, ob für die Freilassung Lösegeld gezahlt wurde. Ein anderes Thema der Presseschau ist die Einigung der großen Koaliton auf zwei Reformprojekte: das Elterngeld und die so genannte Reichensteuer.

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg schreibt, dass eine Lösegeldzahlung nicht immer die Lösung des Problems sein kann:

"Ist ja wieder einmal gutgegangen: Nach 13wöchiger Geiselhaft sind die beiden Leipziger Thomas Nitzschke und René Bräunlich wieder in Freiheit. Ganz so wie Susanne Osthoff, ganz so wie Familie Chrobog - und viele weitere entführte Deutsche, deren Martyrium endete, nachdem ein ordentliches Lösegeld geflossen ist. Doch der gute Ausgang darf nicht darüber hinwegtäuschen: Eine Geiselnahme ist eine Sache auf Leben und Tod. Oftmals endet sie blutig. Und nicht immer kann der Staat für Geld die Freiheit und weitgehende körperliche Unversehrtheit erkaufen."

Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm stuft die Frage nach einer möglichen Lösegeld-Zahlung als nicht sehr wichtig ein:

"Was immer die beiden deutschen Geiseln an ihrer eigenen Sicherheit vernachlässigt haben - es spielt jetzt keine Rolle mehr. Sie sind frei, nach 14 Wochen entbehrungsreicher Haft in den Händen womöglich mehrerer Entführerbanden im Irak. Was zu ihrer Freilassung letztendlich beigetragen hat, ob Lösegeld gezahlt wurde oder ein politischer Zufall mitgespielt hat - wir werden es wohl nie erfahren. Denn es gehört zu den eisernen Regeln des Krisenmanagements, Lösegeldzahlungen nie zuzugeben. Dies würde potenzielle Entführer nur anreizen, sich Geld aus den reichen Industriestaaten zu beschaffen."

Neben der Lösegeld-Frage beschäftigt die KIELER NACHRICHTEN auch die Haltung von Außenminister Steinmeier:

"Es war still geworden um die im Irak entführten Deutschen. Vielleicht war gerade das eine gute Voraussetzung für die Freilassung der beiden Ingenieure: Die Entführer konnten den politischen Preis für ihre Geiseln offensichtlich nicht weiter in die Höhe treiben. Die zweite Voraussetzung für den glücklichen Ausgang des Geiseldramas ist die besonnene Vorgehensweise des Außenministers. Frank Walter Steinmeier hat wesentlichen Anteil daran, dass aus der Entführung kein außenpolitisches Drama der großen Koalition wurde."

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen lobt ebenfalls die Vorgehensweise der Regierung:

"Nach monatelanger Angst können Familienangehörige und Freunde aufatmen. Der Bundesregierung gebührt Dank für ihr Verhandlungsgeschick, mit dem den zwei Deutschen das Leben gerettet wurde. Jetzt ist der Moment der Freude und Erleichterung. Bald sollte man sich aber fragen, wieso eine Firma ihre Mitarbeiter in eine Terror-Region schicken konnte. Entführungen gab es dort zuvor, Morde auch. Nach dem Ende des Dramas müssen die Hintergründe aufgearbeitet werden. Konsequenzen sollten folgen."

Das zweite Thema der Presseschau sind die von Union und SPD beschlossenen Reformen: ab 2007 wird es das Elterngeld und die Reichensteuer geben.

Ob das Elterngeld wirklich den erhofften Systemwechsel bringt, fragt sich die TAGESZEITUNG in Berlin:

"Einen Systemwechsel in der Familienpolitik feierte die Große Koalition gestern. Aber nicht alle werden mitfeiern. Ob der Systemwechsel wirklich gelingt, hängt von zweierlei ab: Erstens, ob der Ausbau der Kinderbetreuung nun wirklich zügig vorangeht. Und zweitens, ob die Arbeitsmarktpolitik tatsächlich allen Müttern eine Arbeitsmöglichkeit beschafft, mit der sie wenigstens das ausfallende Erziehungsgeld kompensieren können. Ansonsten muss man davon ausgehen, dass die Regierung statt eines skandinavischen eher ein amerikanisches System favorisiert: Wer arm ist, wird abgehängt."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beschäftigt sich mit den Reaktionen von Frauen auf das neue Elterngeld:

"(...)Obwohl ihnen nun schon seit Jahrzehnten drangvoll eingeredet wird, daß sie deshalb zurückgeblieben seien, will die überwältigende Mehrheit für sich Teilzeit-, nicht etwa Vollzeitarbeit. Selbst die Familienministerin schätzt ja für sich überschaubare Arbeitszeiten. Aber die neuen Regelungen sollen die Frauen mit Macht in die Betriebe drücken. Das neue 'Elterngeld' nötigt besser ausgebildete Frauen, sich möglichst vor der ersten Schwangerschaft eine Anstellung zu suchen. Die Familienplanung wird also weiter hinausgezögert."

Die NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen beurteilt das Elterngeld hingegen nicht so negativ:

"Das neue Elterngeld bietet jetzt einen neuen Ansatz, Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bringen - übrigens nicht nur für Mütter. Dass das Elterngeld an die Berufstätigkeit von Mutter und Vater anknüpft, hat die Union mit erstaunlich wenig Gegenwehr akzeptiert. Angela Merkel und Ursula von der Leyen haben Jahrzehnte alte konservative Familienpolitik im Handstreich neu ausgerichtet."

Die HEILBRONNER STIMME kritisiert vor allem die so genannte Reichensteuer:

"Vernunft wird in dieser Regierung zum knappen Gut. Allen Bedenken zum Trotz paukt die SPD ihre «Reichensteuer» durch, um der eigenen Klientel eine Neid-Trophäe zu präsentierten. Entgegen allen Beteuerungen akzeptiert die Union diesen Unsinn,- offenbar darauf spekulierend, dass das Verfassungsgericht die Ungleichbehandlung von privaten und gewerblichen Einkünften schon kippen wird. Vernünftig wäre eine in sich stimmige, umfassende Steuerreform gewesen. Doch die große Koalition der Abkassierer und Umverteiler geht lieber den bequemen Weg. Symbole sind ihr wichtiger als Ergebnisse."