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Pressestimmen von Mittwoch, 4. Januar 2006

Gerd Winkelmann3. Januar 2006

Kritische Fragen zur Einsturz-Katastrophe von Bad Reichenhall

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Trauer und Betroffenheit nach dem Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall weichen immer mehr den bohrenden Fragen nach den Gründen für das Unglück. An der Suche nach möglichen Antworten beteiligen an diesem Mittwoch auch die Kommentatoren der deutschen Tagespresse:

So lesen wir beispielsweise in der LANDSHUTER ZEITUNG:

'Ein so furchtbares Unglück wie das in Bad Reichenhall macht fassungslos. Angesichts der vielen Kinder und jungen Leute unter den Opfern, die einen unbeschwerten Ferien-Nachmittag in der Eishalle verbringen wollten, ist das Entsetzen besonders groß. Eine solche Katastrophe wirft Fragen auf. Hatte man nicht das Training der Eishockey-Mannschaft abgesagt? Also war das Risiko doch bekannt und man hätte die Halle räumen müssen, oder? Es ist zu hoffen, dass die Katastrophe wachrüttelt und es nicht bei tröstenden Politiker-Worten bleibt.

Kritische Zweifel hegt auch der Kommentar im KÖLNER EXPRESS:

'Jedes Auto muss zum TÜV. Jedes Flugzeug, in das wir uns setzen, wird in regelmäßigen Abständen durchgecheckt. Sogar jede Brücke, auf die wir einen Fuß setzen, wird von Zeit zu Zeit auf ihre Sicherheit geprüft. Aber bei Turnhallen, Schulen oder eben Eissportzentren, in denen wir unseren Feierabend genießen und unsere Kinder unbeschwert lernen sollen, ist das nicht vorgeschrieben. Muss man das verstehen? Muss man nicht. Deswegen brauchen wir einen Bau-TÜV für öffentlich genutzte Gebäude. Unsere Experten sollen in Zukunft lieber zweimal hinschauen und dreimal zu oft ein Gebäude sperren als keinmal. Das sind wir den Opfern aus Bad Reichenhall schuldig.'

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE schlägt in die gleiche Kerbe:

'Hallen und Hochhäuser werden in Deutschland seltener auf ihre Standsicherheit kontrolliert als Autos und Mopeds auf ihre Fahrtüchtigkeit. Die im Zuge von Sparmaßnahmen oft personell ausgedünnten Bauaufsichtsbehörden kommen nicht nach mit den Kontrollen. Leider ist es nicht gängige Praxis, daß der Bauherr Sachverständige zur Sicher- heit auf die Gebäude schauen läßt. Man kann nicht alles überprüfen. Aber dass Bauvorhaben im vereinfachten Genehmigungsverfahren durch die Kontrollen geschmuggelt werden, daß Betonkonstruktionen drei Jahrzehnte der Witterung ausgesetzt sind und niemand es sieht - das müßte sich ändern.'

Die EßLINGER ZEITUNG weiß, warum das zunehmend schwieriger wird:

'Mögliche Versäumnisse und Schuldige wird man, wenn überhaupt, erst nach umfangreichen Recherchen konkret benennen können. Doch bereits heute weist das Unglück von Bad Reichenhall auf eine Entwicklung hin, die Anlass zur Sorge gibt. In vielen deutschen Kommunen stehen öffentliche Einrichtungen, die sanierungsbedürftig sind. Ob Schulen, Schwimmbäder, Veranstaltungshallen oder andere Gebäude: Oftmals sind die finanziell überforderten Städte und Gemeinden heute nicht mehr in der Lage, eine angemessene Unterhaltung oder Sanierung sicherzustellen.'

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf meint:

'Manches deutet auf eine Mischung von Schlamperei und fataler Sorglosigkeit hin. Da wurde wegen Gefahr im Verzug gewarnt, aber ausgerechnet jene ließ man ungerührt in der Gefahrenzone, die dem höchsten Risiko ausgesetzt waren. Da wurde geprüft und gemessen, aber angeblich keine Gefährdung festgestellt. Dabei sind Belastungsgrenzen für Baumaterialien nun wirklich keine Geheimwissenschaft. Klar, dass einen da die kalte Wut packt: Deutsche Techniker können ein Tsunami- Frühwarnsystem in Ostasien aufbauen, aber angeblich nicht erkennen, dass eine stinknormale Halle an ihre Ermüdungs- und Belastungsgrenze kommt? Wer soll dieses Märchen glauben?'

In der TAGESZEITUNG - taz aus Berlin lesen wir:

'Die Ursache des Unglücks in Bad Reichenhall ist ungeklärt. Die voreiligen Schuldzuweisungen, die einige Reporter verbreitet haben, sind verantwortungslos. Auch und gerade jenen gegenüber, die jetzt fürchten, sich demnächst vor Gericht verantworten zu müssen. Und die vielleicht dennoch gänzlich schuldlos sind an der Tragödie. Diese Unschuldsvermutung wird nicht eingeschränkt, wenn man Bad Reichenhall für ein Menetekel hält: für einen Hinweis auf wachsendes, berech- tigtes Misstrauen gegenüber der öffentlichen Infrastruktur. Der Einsturz von Gebäuden in Ländern wie der Türkei oder Russland wird meist achselzuckend zur Kenntnis genommen. Vielleicht ist der Zeitpunkt erreicht, an dem auch in Deutschland nichts anderes mehr erwartet werden sollte.'

Der Kommentar des BADISCHEN TAGBLATTES verfolgt ebenfalls diese Spur:

'In vielen deutschen Kommunen stehen öffentliche Einrichtungen, die sanierungsbedürftig sind. (...) Teil des Problems sind auch jene Bauten, die im Zuge der Gemeindereform in den 70er Jahren als Geschenke errichtet wurden, um Eingemeindungen schmackhaft zu machen. Heute fehlt das Geld, um die oftmals überdimensionierten und in die Jahre gekommenen Bauten vernünftig zu unterhalten.'

Zu guter Letzt noch ein Blick in den MANNHEIMER MORGEN:

'Dass in Bayern nun landauf, landab Eis- und Sporthallen aus Angst vor einer möglichen Einsturzgefahr ihre Tore schließen, ist - wenngleich emotional verständlich - ein Armutszeugnis: Die regelmäßige Überprüfung der Statik solcher Gebäude sollte selbstverständlich sein und nicht erst überstürzt angesetzt werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Die mögliche Erklärung, der in Bad Reichenhall gefallene Schnee sei diesmal besonders schwer und nass gewesen, ist mehr als peinlich.'