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Pressestimmen von Mittwoch, 4. Mai 2005

zusammengestellt von Eleonore Uhlich3. Mai 2005

Kapitalismus-Debatte / Reise des Kanzlers in die Türkei

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Die Äußerungen des Münchner Historikers Michael Wolfssohn in der anhaltenden Kontroverse über Auswüchse des Kapitalismus in Deutschland haben Empörung bei den deutschen Tageszeitungen ausgelöst.

Das OFFENBURGER TAGEBLATT urteilt:

"Die Debatte über eine für die Bundesrepublik existentielle Frage erreicht mit der Wortmeldung des Münchner Historikers Michael Wolffsohn das Niveau einer drittklassigen Pöbel-Talkshow. Der für seine Fettnapf-Tretereien bekannte Geisteswissenschaftler vergleicht die Kapitalismus-Kritik von SPD-Chef Franz Müntefering mit der antijüdischen Hetze der Nationalsozialisten im Dritten Reich. In jeder Talkshow hätte Wolffsohn für diesen Konter artig Applaus erhalten. Aber die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland sollte nicht den Talkshow-Schwätzern überlassen werden", unterstreicht das OFFENBURGER TAGEBLATT.

Die HAMBURGER MORGENPOST stellt fest:

"Bisher war dieser leidige Kapitalismus-Streit ermüdend, denn schon Münteferings «Heuschrecken»-Vorstoß war zu offensichtlich mit populistischer Feder geschrieben, als dass er die überfällige Debatte irgendwie hätte befruchten können. Spätestens seit gestern ist dieser Streit jedoch unerträglich. Ein Historiker, der nie durch historische Erhellungen, stets aber durch dümmliche Provokationen ... auffiel, hat diese Debatte endgültig sinnentleert."

Die in Kassel erscheinende HESSISCHE-NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE kommt zu dem Schluss:

"Die Debatte über Franz Münteferings Kapitalismus-Kritik mag man als oberflächlich und durchsichtig empfinden oder als befreiend und erfrischend. Eines ist sie auf jeden Fall - sehr deutsch. Denn wie immer in diesem Land kommt irgendwann jemand daher und zieht quasi als Joker den Nazi-Vergleich aus dem Ärmel. Über Wolffsohns Motive kann nur spekuliert werden. Da er bereits in der Vergangenheit mehrfach mit billigen Polemiken auf sich aufmerksam machte, darf ein gewisser Hang zu Eitelkeit und Selbstdarstellung vermutet werden."

Anläßlich der Reise von Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Türkei befasst sich der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth mit der wirtschaftlichen Situation in dem moslemischen Land.

"Natürlich weiß die Türkei, dass ihr schneller Aufschwung der EU- Beitrittsperspektive geschuldet ist. Will sie die Investoren bei Laune halten, kommt sie um eine tiefgreifende Liberalisierung der Gesellschaft nicht herum. Dies legt der Kanzler Premier Erdogan unmissverständlich dar. Er tut dies, weil er fest davon überzeugt ist, dass die Türkei für Europa eine Bereicherung sein kann."

Auf die Beitrittsabsichten des Landes zur EU geht die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt an der Oder ein:

"Mit seinem angemahnten Mentalitätswechsel in der Türkei hat Schröder indirekt zugegeben, dass dieses Land nicht zu Europa passt, dass es hier um Tiefergehendes geht, das nicht durch Parteitagsbeschlüsse geändert werden kann. ... Allerdings ist es nicht damit getan, dass die unter Druck stehende Bundesregierung wegen der Erweiterungsmüdigkeit der Europäer nun rhetorisch etwas Dampf aus dem Kessel lässt. Die ganze Richtung dieser Politik stimmt nicht. Außer allgemeinen geopolitischen Stabilisierungsideen für ein islamisches Land, die dann aber auch für Marokko zutreffen, gibt es keine Gründe für eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei", befindet die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.

Ähnlich sehen es die STUTTGARTER NACHRICHTEN und argumentieren:

"Immer mehr spricht daher dafür, dass die Zukunft der Türkei in Europa zu beiderseitigem Nutzen nur in der privilegierten Partnerschaft liegen kann - auch wenn Schröder drei Wochen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen (bei der rund 180.000 Türkischstämmige wählen dürfen) diese Wende nicht einmal wird andeuten können. Vielleicht aber trägt in der EU die allgemeine Ernüchterung über den schwierigen Kandidaten Türkei dazu bei, die eigene Belastbarkeit endlich selbstkritischer als bisher zu überprüfen", hoffen die STUTTGARTER NACHRICHTEN, mit der wir diese Presseschau beenden.