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Pressestimmen von Montag, 02. Januar 2006

Barbara Zwirner1. Januar 2006

Gas-Streit Russland-Ukraine / Freilassung der Familie Chrobog

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Im Streit um drastische Preiserhöhungen für Gas hat der russische Konzern Gasprom wie angedroht zu Jahresbeginn die Lieferungen in die Ukraine gestoppt. Die Kommentatoren der deutschen Tagespresse werten dies als machtpolitischen Zug des Moskauer Kreml. Im Blickpunkt bleibt weiterhin die Freilassung des früheren Staatssekretärs Jürgen Chrobog aus jemenitischer Geiselhaft.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München schreibt:

"Das Jahr 2006 beginnt für Russland im Größenrausch. Seit dem 1. Januar führt es erstmals den Vorsitz in der G 8, der Gruppe der führenden demokratischen Industrienationen. Pünktlich zum selben Termin hat Russland dem Nachbarland Ukraine den Gashahn abgedreht. Beide Ereignisse sind von wesentlicher Bedeutung für das neue Selbstbewusstsein eines Staates, der seit dem Ende der Sowjetunion auf der Suche nach sich selber war. Das Russland des Wladimir Putin fühlt sich wohl in der Gesellschaft der Großen - und wonnevoll zeigt es den Kleinen, wo der Hammber hängt."

Im Bonner GENERAL-ANZEIGER lesen wir:

"Und bist Du nicht willig, so brauch' ich Gewalt. Pünktlich zum Jahreswechsel demonstriert Russlands Präsident Putin sein Verständnis von Marktwirtschaft und Freiheit - und legt der Ukraine die Daumen- schrauben an. Man muss schon sehr blauäugig sein, um dieses Putinsche Pilotprojekt nicht für das zu halten, was es ist: Pure Erpressung. Hätte es keinen politischen Hintergrund, diente es nicht dazu, politischen Druck auf einen Staat auszuüben, der im Begriffe ist, sich von Russland loszulösen und dem Westen zuzuwenden, würde Gasprom folgerichtig auch andere Sondertarife kündigen: etwa den zu Putins treuem Vasallen Lukaschenko in Weißrussland."

Die Zeitung LANDSHUTER ZEITUNG/STRAUBINGER TAGEBLATT meint:

"Dass die Russen den Gashahn zugedreht haben, obwohl die Ukraine vor Ablauf des Ultimatums grundsätzlich zur Zahlung 'marktüblicher Preise' bereit war und Präsident Viktor Juschtschenko in Kiew von einer neuen und konstruktiven Phase sprach, löst Verwunderung aus. Dieser Vorgang spricht dafür, dass es Russland keineswegs allein um einen höheren Gaspreis, sondern um machtpolitische Ziele geht. Putin, der die Demokratisierung nach und nach zurückfährt, passt die 2005er Orange-Revolution überhaupt nicht in sein strategisches Konzept."

Die in Frankfurt/Oder erscheinende MÄRKISCHE ODERZEITUNG stellt allerdings fest:

"Hahn zu, Dialog zu Ende? Auch wenn der russische Energiegigant Gasprom mit den Muskeln spielt und die ukrainische Regierung auf stur schaltet, irgendwann wird man sich wieder an den Verhandlungstisch setzen. Der Kreml kann sich einen Dauerkonflikt nicht leisten, weil er sich damit selbst schaden würde. 80 Prozent der Gasprom-Exporte nach Westeuropa verlaufen über ukrainisches Territorium. Eine Alternative gibt es nicht. Die Ostseepipeline geht erst ab 2010 in Betrieb."

Zur Freilassung des früheren Staatssekretärs Jürgen Chrobog und seiner Familie aus mehrtägiger Geiselhaft im Jemen schreibt die FULDAER ZEITUNG:

"Der Fall Chrobog zeigt, dass manche Länder für Touristen einfach nicht sicher sind. Ob jemand aus innenpolitischen, propagandistisch- terroristischen oder finanziellen Gründen entführt wird, ist ganz egal. So etwas ist keine erweiterte Folklore-Veranstaltung, sondern ein äußerst bedrohliches Ereignis. Der lapidare Hinweis, dass Geiselnahmen im Jemen in der Regel glimpflich verlaufen, ist für die Betroffenen wenig hilfreich."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ergänzt:

"Muß man seine Ferien im Jemen verbringen? Natürlich nicht. Doch auch nach der Entführung des ehemaligen Staatssekretärs Jürgen Chrobog und seiner Familie werden wieder viele Touristen in die Südwestecke Arabiens aufbrechen, um sich an den natürlichen und kulturellen Schönheiten dieses noch weitgehend archaischen Landes zu erfreuen. Der westliche Wohlstandsmensch hat dazu eine nicht geringe Neigung. Immer im Jemen leben müssen hingegen seine Bewohner, die noch weitgehend in Stämmen organisiert sind. Wenn sie Leute entführen und als Geiseln halten, sind das Verbrechen, die der jemenitische Staat ahnden will und muß. Doch genau hier liegt der springende Punkt: In der Stammesgesellschaft des Landes ist es noch immer schwer, das Rechts- und Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen."

Der in Hamm erscheinende WESTFÄLISCHE ANZEIGER meint:

"Natürlich hatte der Ex-Diplomat Chrobog vorgesorgt. Die Theorie von größtmöglicher Sicherheit aber wurde auch in seinem Fall bald von jener Praxis überholt, mit der verfeindete Stämme im Jemen ihre Konflikte zu lösen pflegen: Lebende Argumente sind die besten. Natürlich überwiegt jetzt die Erleichterung. Und natürlich auch stehen Regierungen in der Pflicht, wenn es darum geht, Landsleute aus Krisenlagen zu retten. Irgendwann aber ist jede Geduld am Ende; zumal dann, wenn die Opfer so gut wissen mussten, worauf sie sich einließen. Es sei denn, man empfindet eine Geiselnahme in einem Land wie Jemen als Folklore."

In der OFFENBACH-POST lesen wir:

"Der Bundesregierung blieb im Fall Chrobog wie auch bei der Entführung von Susanne Osthoff die schwerste aller Abwägungen erspart. Sie wurde glücklicherweise nicht gezwungen, zwischen Staatsräson und dem Schutz von Menschenleben zu entscheiden. Auch wenn beide Fälle in Vorgeschichte und Umständen unterschiedlicher kaum sein könnten, lässt sich aus ihnen eine gemeinsame Lehre für deutsche Helfer und Touristen in Krisenregionen ziehen: Hilfsbereit- schaft und Begeisterung für fremde Kulturen dürfen nicht in Leichtsinn und Fahrlässigkeit umschlagen."