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Pressestimmen von Montag, 1. Juli 2002

Gerd Winkelmann. 1. Juli 2002

Tauziehen um das Internationale Strafgericht/ Die Hartz-Kommission und der Wahlkampf

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Die Weltmacht USA pokert. Den von ihr nicht geliebten
Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen zu verknüpfen, hat nicht nur die Staatenwelt überrascht. Deutschlands Tagespresse billigt dem Thema an diesem Dienstag viele Leitartikel zu. Zum Beispiel die WESTFÄLISCHE
RUNDSCHAU
aus Dortmund:

'Die 1998 in Rom gegen den Willen Washingtons erzielte Einigung und die anschließende Ratifizierung durch inzwischen 74 Länder galten als Akt der Emanzipation von der Supermacht USA. Die allerdings will nun offenbar der Welt beweisen, wer am längeren Hebel sitzt, und blockiert im Weltsicherheitsrat die Verlängerung des SFOR-Mandats für
Bosnien-Herzegowina. Die Drei-Tages-Frist, die Washington dort für weitere Verhandlungen gesetzt hat, kommt einem Ultimatum gleich. Die USA wollen für ihre Soldaten, die sie in Auslandseinsätze schicken, Immunität vor Verfolgung durch den neuen Gerichtshof erwirken. George Bush geht bei der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich vor. Was er durch sein rigoroses Nein zum Gerichtshof und in Verhandlungen nicht
erreicht hat, will er jetzt auf diesem Umweg erzwingen.'

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt:

'Die Verknüpfung kommt einer Erpressung gleich: Entweder ihr erfüllt unsere Bedingungen beim Strafgericht, oder das gesamte System friedensschaffenden oder friedenserhaltenden UN-Einsätzen wird in sich kollabieren. Da hilft kein Schönreden: Die Veto-Drohung macht sich nicht fest an den lediglich 46 amerikanischen Offizieren der UN-Polizeitruppe in Bosnien, deren Mandatsverlängerung jetzt ansteht. Die Logik des Arguments zielt auf das gesamte System von Einsätzen der Vereinten Nationen überhaupt. In dieser Konsequenz wird die Veto-Drohung zum bisher schärfsten Angriff der USA auf das Völkerrecht.'

Und hier noch die B.Z. aus Berlin:

'Der Streit um den Internationalen Strafgerichtshof und den
internationalen Vertrag, den die Europäer ratifizierten und die
Amerikaner nicht, droht zum weltpolitischen Problem zu werden. Die Europäer wollen internationales Recht durchsetzen, können es aber nicht ohne die USA. Die Amerikaner wollen weltweit den Feldzug gegen den Terror führen und brauchen dafür Verbündete. Einander wegen Den
Haag zu blockieren, mag einige Juristen zufrieden stellen. Die übrige Welt hat Grund zur Sorge und zu der Bitte, man möge sich einigen.'

Themenwechsel: Die BERLINER ZEITUNG lotet die Chancen zur Reform des Arbeitsmarktes aus:

'Verglichen mit anderen Themen, denen auch nur der geringste Verdacht eines möglichen Sozialabbaus anhaftete, haben sich die deutschen Gewerkschaften bei ihren Reaktionen auf die Vorschläge der so genannten Hartz-Kommission bisher auffällig lange Zeit gelassen. (...) Die Richtung der Vorschläge stimme, die 'Chancen echter Fortschritte' müssten aufgegriffen werden - das hatte der Dachverband DGB als Leitlinie herausgegeben. Wenn es keine Worthülsen bleiben sollen, mit der verschreckte Funktionäre besänftigt werden, können die Gewerkschaften nur konstruktive Mitarbeit - ohne ideologische Scheuklappen - leisten. Es wäre auch eine Chance für die unter Mitgliederschwund leidenden Arbeitnehmer-Organisationen, sich als reform- und modernisierungsfähig zu zeigen.
Den Nutzen hätten die Arbeitslosen.'

Dazu auch die Tageszeitung DIE WELT:

'Noch kein Gesetz ist so aus dem Gesetzgebungsverfahren
herausgekommen, wie es hineingegangen ist. Diese alte Politikerweisheit gilt auch für Änderungsvorschläge im vorparlamentarischen Raum. Nachdem die Überlegungen der so genannten Hartz-Kommission zur Verringerung der Arbeitslosigkeit zunächst gepriesen worden sind, werden sie nun zerpflückt. Einiges spricht dafür, dass am Ende ein Torso übrig bleiben wird, der es kaum mehr wert ist, in Gesetzesform gegossen zu werden. (...) Bisher geht es den Parteien ausschließlich um wahltaktische Spielchen und nicht um den Inhalt des Programms. Die Parteien scheinen zu glauben, dass die Bundestagswahl mit Reformbereitschaft nicht zu gewinnen ist.'