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Pressestimmen von Montag, 13. September 2004

13. September 2004

Bundespräsident zu Ungleichheit der Lebensverhältnisse in Deutschland / Polnisches Parlament zu Reparationsforderungen

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Mit seiner These vom Fortbestand ungleicher Lebensverhältnisse in den deutschen Regionen hat Bundespräsident Horst Köhler auch die Meinungsfreude der deutschen Zeitungskommentatoren angestachelt. Ein zweites Kommentarthema ist der Beschluss des polnischen Parlaments, 60 Jahre nach Kriegsende Reparationen von Deutschland zu fordern.

Zur Äußerung des Bundespräsidenten merkt die BERLINER ZEITUNG an:

"Damit hat erstmals ein hochrangiger deutscher Politiker die zentrale Doktrin der deutschen Einheit in Frage gestellt. Die so genannte Angleichung der Lebensverhältnisse gehört zum Gründungsmythos der deutschen Einheit. Sie ist auch ihre größte Lüge. Sie legte den Grundstein für Unzufriedenheit und Enttäuschung, sie begründete den seither unter den Ostdeutschen grassierenden Generalverdacht, für zweitklassig gehalten zu werden. Sie verstellt bis heute den Blick auf ökonomische und historische Gegebenheiten und verhindert die sachliche Diskussion. Deshalb ist Köhler zu danken."

Zur Gelassenheit mahnt DIE WELT aus Berlin:

"Dass man nicht an jedem Ort und in jeder Region unseres Landes gleiche Lebensverhältnisse wird schaffen können, ist logisch. Wer wollte schon dafür plädieren, die Ruhe und Beschaulichkeit Vorpommerns für das Ruhrgebiet zu reklamieren oder in Emden jene Mietpreise zu fordern, die in München gang und gäbe sind? Es gibt sie, die Unterschiede, das ist nichts Schlechtes. Verwundern müssen aber die aufgeregten Reaktionen quer durch alle politischen Lager. Es scheint, als habe man im Osten nur auf ein solches Signal gewartet, um nun warnend den Finger zu erheben: Seht her, wir werden abgekoppelt!"

Dagegen geht die FRANKFURTER RUNDSCHAU mit Köhler hart ins Gericht:

"Wenn es so ist, dass Unterschiede nicht nur zwischen West und Ost, sondern auch zwischen Nord und Süd gibt - wie ist es dann zu rechtfertigen, dass nur die Menschen in Mecklenburg tariflich weniger verdienen als die Hamburger und nicht die Leute nebenan in Ostfriesland? (...) Wer zwischen Ost und West nicht spalten will, sollte dazu nicht schweigen. Horst Köhler hat statt dessen den Leuten im Osten erzählt, woraus die Freiheit des modernen Menschen besteht. Verkürzt gesagt: Abhauen oder arm bleiben, denn um zu Hause zu helfen, fehlt leider das Geld. Die Ehrfurcht vor dem Amt verbietet es, das zynisch zu nennen."

Und nun zu den deutsch-polnischen Differenzen über Reparationen. Dazu lesen wir in der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU:

"Natürlich wissen auch die polnischen Parlamentsabgeordneten, dass die Frage der Entschädigungen bereits seit dem Reparationsverzicht von 1953, spätestens aber seit dem der deutschen Wiedervereinigung vorausgehenden Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den Hauptsiegermächten völkerrechtlich endgültig geklärt ist. Insofern muss die Entschließung eindeutig als Provokation betrachtet werden. Sie gießt mit Absicht Öl in ein Feuer, von dem zu hoffen wäre, dass es endlich verglimmt."

Auch das HANDELSBLATT aus Düsseldorf zeigt sich befremdet:

"Mit dem Ruf nach deutschen Kriegsreparationen hat sich Polens Parlament selbst kompromittiert. Denn die Forderung entbehrt jeder Rechtsgrundlage. Ein Blick in das Potsdamer Abkommen von 1945, den Vertrag zwischen Polen und der DDR von 1953 sowie den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1990 hätte die Abgeordneten eines Besseren belehrt. Zu Recht reagierte Polens Außenministerium mit der Feststellung, die Sache sei abgeschlossen. Politisch dient die Sejm-Resolution nur dazu, alte Gräben aufzureißen und den Blick für die Zukunftsaufgaben im Rahmen der bilateralen Beziehungen zu vernebeln."

Die MAIN-POST aus Würzburg gibt zu bedenken.

"Wer geglaubt hat, das deutsch-polnische Verhältnis sei auf dem besten Weg, zu einer ähnlichen Erfolgsgeschichte zu werden, wie sie Deutschland und Frankreich schrieben, sieht sich getäuscht. Die Forderung des polnischen Parlaments nach Reparationen zeigt, dass auch 65 Jahre nach dem deutschen Überfall auf das Nachbarland die Wunden nicht verheilt, sondern bestenfalls vernarbt sind. Dass der unsinnige und gefährliche Streit jetzt wieder aufflammt, liegt allein an den nationalkonservativen Kräften in beiden Ländern."

Das war die MAIN-POST aus Würzburg, mit der die Presseschau endet. Die Redaktion hatte Reinhard Kleber.