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Pressestimmen von Montag, 2. Februar 2004

Stephan Stickelmann1. Februar 2004

Anschläge in Arbil / Koalitionsdebatte über Reformpolitik

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Zahlreiche Zeitungen befassen sich mit den verheerenden Anschlägen in der nordirakischen Stadt Arbil. Hören Sie zunächst aber zwei Stimmen zur koalitionsinternen Debatte über Tempo beziehungsweise Fortdauer der Reformpolitik. Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen meint:

"Die Regierungspartei SPD ist offenbar mit ihrem Latein am Ende. Anders lassen sich die jüngsten Einlassungen ihres Generalsekretärs nicht deuten. 'Wir haben das Notwendige getan', verkündet Olaf Scholz, weshalb er keinen weiteren Reformbedarf erkennen könne. Das klingt selbstzufrieden. In Wahrheit aber schlottern den Genossen angesichts des historischen Umfragetiefs ihrer Partei die Knie; Ratlosigkeit macht sich breit. Also wird flugs ein neues Regierungsmotto ausgegeben: Schluss mit Reformen. Auf das Naheliegendste kommt Scholz bezeichnenderweise gar nicht mehr: besser regieren!"

Und die in Düsseldorf erscheinende WESTDEUTSCHE ZEITUNG schreibt:

"Diese Regierung hat nur noch eine Chance, wenn sie jetzt nicht auf halbem Wege stehen bleibt. Gerade weil die Arbeitsmarktreformen und die halbherzige Gesundheitsnovelle keine schnellen Früchte tragen werden, muss Schröder weiter machen: Mit einer Renten- und Pflegereform, die die eigene Vorsorge in den Mittelpunkt stellt, einem Systemwechsel in der Gesundheitspolitik, der das Kartell von Pharmaindustrie und Ärzten sprengt, und einer radikalen Steuervereinfachung, die nur durch den konsequenten Abbau von Subventionen zu erreichen ist."

Und nun zu den Anschlägen in Arbil. Dazu heißt es in der WELT:

"Es gibt drei Möglichkeiten der Urheberschaft. Erstens: Es waren schiitische Extremisten, denen die halbautonomen irakischen Kurden die angestrebte Herrschaft über das ganze Land streitig machen. Zweitens: Es waren sunnitische Extremisten aus ganz ähnlichen Gründen. Drittens und am wahrscheinlichsten: Es waren international operierende Terrorprofis vom Netzwerk Al Qaida oder die mit ihnen verbandelten Extremisten, um die 'kurdischen Kollaborateure' zu strafen. Wer auch immer es war, die Aussicht auf baldigen Frieden im Zweistromland ist minimal."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU erörtert die Frage, wie die kurdische Bevölkerung auf die Anschläge reagieren könnte, und kommt zu dem Schluss:

"Die Kurden werden nun noch stärker auf eine föderale Lösung drängen und die Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen durch die US-Zivilverwaltung zusätzlich erschweren. Gibt Chefverwalter Paul Bremer der kurdischen Minderheit die gewünschten Garantien, bringt er die schiitische Mehrheit gegen sich auf, deren Mitwirkung er für die Verwirklichung der geplanten Machtübergabe Ende Juni unbedingt braucht. Geht er nicht genug auf die Forderungen der Kurden ein, fördert er deren wachsende Angst, erneut von den USA verraten zu werden. Das Ergebnis wäre eine Stärkung der Stimmen, die schon heute für ein unabhängiges Kurdistan eintreten. Eine drohende Zersplitterung Iraks wäre ein politisches Desaster am Ende einer umstrittenen Intervention."

Skepsis spricht auch aus dem Kommentar des HANDELSBLATTS aus Düsseldorf:

"Aussicht auf Besserung gibt es nicht. Die USA werden sich bis Mitte des Jahres zumindest als strukturprägende Kraft aus dem Irak verabschiedet haben. Die US-Zivilverwaltung wird aufgelöst, es bleiben die Soldaten. Die politischen Konflikte, die Gewalt dürften aber ungebremst weitergehen. Dies muss man wissen, wenn man jetzt über eine Führungsrolle der NATO im Irak diskutiert. Die Mitgliedstaaten der Allianz - und damit auch Deutschland - würden sich in offenes Feindesland begeben. Wenn also die NATO in den Irak geht, dann zieht sie auch in einen Krieg. Das muss man sagen, wissen und vor allem - wollen."

Und die in Potsdam herausgegebene MÄRKISCHE ALLGEMEINE kommt angesichts des Blutbads von Arbil zu dem Schluss:

"Diese Spielart des Terrors ist mit politischen oder sozialen Mitteln nicht zu stoppen. Wenn überhaupt, dann mit hartnäckigen Ermittlungen und entschlossener Bekämpfung. Man mag einwenden, dass die USA eben besser die Finger vom Irak gelassen hätten, dann bekämen sie heute nicht diese Quittung. Wohl wahr. Man sollte dann aber auch den Irakern in die Augen sehen und zugeben, dass einem eine funktionierende Diktatur in Bagdad lieber ist als der jetzige mühselige Versuch, eine neue Ordnung aufzubauen."