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Pressestimmen von Montag, 20. Juni 2005

Gerhard M. Friese19. Juni 2005

EU-Gipfel gescheitert / Diskussion über Linksbündnis geht weiter / Wahlen im Iran gehen in zweite Runde

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Der gescheiterte Gipfel der Europäischen Union beherrscht an diesem Montag die Kommentare deutscher Tageszeitungen. Auf Interesse stoßen aber auch das geplante Linksbündnis zwischen PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit und die Wahl im Iran.

Die Berliner Zeitung DER TAGESSPIEGEL schreibt zum EU-Gipfel:

"Erschreckend ist die Geschichtsvergessenheit, mit der heute europäische Politik verunstaltet wird. Das 'Haus Europa' sollte den Frieden und die Freiheit sichern, endlich, doch davon spricht kaum einer mehr. Jetzt wird das Haus, obschon ziemlich ausgebaut, als Casino missbraucht, ganz so, als wären Frieden und Freiheit schon selbstverständlich... Europa hat sich zu einem bürokratischen Frankenstein entwickelt, der seinen Erfindern über den Kopf gewachsen ist. Noch können sie ihn einfangen, ihm eine Diät verpassen, ihn zum Sympathieträger aufbauen. Aber nur gemeinsam. Im Juli übernimmt Blair die Ratspräsidentschaft, ausgerechnet. Den Rabatt hat er noch. Kredit muss er sich erst erwerben."

Die AUGSBURGER ALLGEMEINE nimmt Premierminister Blair gegen Vorwürfe in Schutz:

"London will endlich ökonomische Fortschritte sehen. Erst wenn diese Erfolge bei den Menschen ankommen, kann man wieder über die Vertiefung der EU, den Verfassungsvertrag, reden. Diese These ist weder unanständig noch unsozial. Die Bürger wollen sehen, was ihnen diese Gemeinschaft bringt, wo sie Lösungen hat, warum man in sie investieren soll. Diese Fragen muss die EU nun beantworten. Der gescheiterte Gipfel ist deshalb kein Anlass für Streit und Schuldzuweisungen, sondern für einen Neuanfang."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU warnt vor einer Denkpause:

"In der Debatte über ihren weiteren Weg und über ihre mittelfristige Finanzplanung geht es für die Union nämlich um zwei Dinge, ohne die sie dann doch allmählich zerbröseln würde: um die Zustimmung ihrer Bürger und um ihr Ansehen in der Welt. Weil Deutschland im Wahlkampf steckt und Frankreichs Führung geschwächt ist, müssen Länder wie Spanien, Polen, Schweden, Luxemburg oder Belgien die Führungsrolle in diesen Debatten an sich ziehen. Das hülfe der EU und könnte Blair zum Nachdenken und vielleicht zum Einlenken bringen. Mehr als bereits auf dem Tisch lag, wird er freilich auch dann kaum bekommen."

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN sehen dagegen keinen Grund zur Sorge:

"Der Gipfel ist gescheitert. Dennoch besteht zum Schwarzmalen kein Anlass. Es wird immer klarer, dass die EU ihre Erweiterungs- Gigantomanie zu den Akten legt. Und dass sie endlich nüchtern darüber nachdenkt, wie Beziehungen - etwa zur Türkei - vertieft werden können, ohne dass es zu einer Vollmitgliedschaft kommen muss. Die EU streitet. Aber sie besinnt sich. Mit der Krise kommt die Vernunft."

Das geplante Linksbündnis - nach der Wahl von Oskar Lafontaine zum Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen - kommentiert der KÖLNER STADT-ANZEIGER:

"Es bedarf schon solch überragender Rhetoriker wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, um zusammenzureden, was so wenig zusammenstrebt... Es ist absehbar, dass sowohl bei der WASG als auch bei der PDS zahlreiche Aktive das von ihnen abgelehnte Bündnis nicht mitmachen und die Partei verlassen werden. Beide Seiten müssen so viele Kröten schlucken, dass es einigen bestimmt schlecht wird. Die neue Partei hat ihre Identitätskrise vor der Identität."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg meint dagegen:

"Mit einer gewissen Nervosität werden die Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die weitere Entwicklung verfolgen: Denn wie will die SPD dort weiterhin mit einer Partei regieren - nämlich der PDS -, die sie im Bund dermaßen brachial bekämpft? Auch in diesem Sinne hat Lafontaine ganze, destruktive Arbeit geleistet."

Zum Schluss der Kommentar des Düsseldorfer HANDELSBALTT zur Wahl im Iran:

"Es ist gut möglich, dass Rafsandschani in einer Stichwahl noch einmal den Sieg davon trägt. Doch der 70-jährige Mullah und Geschäftsmann muss sich fragen, welche Schlüsse er aus dem Votum der ersten Runde ziehen soll. Ein schlichtes 'Weiter so' würde der neuen Lage nicht mehr gerecht. Der große Zuspruch für Ahmadinedschad hat damit schon jetzt die Position der Konservativen gestärkt. Für den Westen wird der Umgang mit Teheran deshalb künftig nicht einfacher, egal, wer die Stichwahl gewinnt."