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Pressestimmen von Montag, 21. November 2005

Christian Walz20. November 2005

Schröder / Bush

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Mehr als sieben Jahre stand Gerhard Schröder an der Spitze der Bundesregierung, nun geht seine Zeit im Kanzleramt unweigerlich zu Ende.

"Mit dem Abschied von Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Wahl seiner Nachfolgerin Angela Merkel beginnt morgen eine neue Ära", schreibt der Kölner EXPRESS.

"Nicht nur, weil zum ersten Mal eine Frau die deutsche Regierung leiten wird. Sondern auch, weil Union und SPD nach jahrzehntelangem Kampf gegeneinander nun wieder gemeinsam Verantwortung für Deutschland tragen. Im Wahlkampf stand man sich bis zuletzt unversöhnlich gegenüber. Doch unter dem Druck des Wählerwillens fanden die ungleichen Partner rasch zueinander. Pragmatismus statt Polemik - diese Leitlinie sollte auch die Politik der künftigen Regierung bestimmen."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG blickt zurück und fragt sich: War Schröder den Deutschen ein guter Kanzler?

"Der Mann, der einst am Zaun des Kanzleramtes gerüttelt und gerufen hatte: 'Ich will hier rein', wirkte gelegentlich, als wäre er im Zentrum der Macht fehl am Platze. Zu oft interessierte ihn nicht sein Geschwätz von gestern. Rasche Kurswechsel waren nie sein Problem. Er trat als Reformkanzler an, war dann Genosse der Bosse, zog schließlich als Kämpfer für sozialdemokratische Solidarität in seinen letzten Wahlkampf. Seiner Partei aber auch seinen Wählern fiel es da oft schwer, Schritt zu halten. Und doch: Kein deutscher Kanzler hat sich intensiv wie Schröder der Frage nach Krieg und Frieden und zwingend notwendigen Reformen im Land so stellen müssen."

Auch die OSTSEE-Zeitung aus Rostock zieht Bilanz:

Gewiss hat Schröder seine Messlatte, die Zahl der Arbeitslosen zu halbieren, gerissen. Aber der dritte SPD-Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik hat dem Volk die Realität des Finanz-Chaos nach 15 Jahren Kohl mitgeteilt. Und er hat mit seinem Weg, der 'Agenda 2010', darauf reagiert. Eine historische Entscheidung. Das ist Schröders Vermächtnis: Er wurde für etwas abgewählt, das seine Nachfolger nun fortführen müssen. Weit härter."

Der Kommentar des WIESBADENER KURIERs befasst sich ebenfalls mit Schröders Abschied:

"Das pompös-bewegende Ritual des großen Zapfenstreichs zum Schluss passt zur Art und Weise, wie Gerhard Schröder seine Zeit als Bundeskanzler absolviert hat: als Inszenierung von Politik und seiner Person. An der bösen Kennzeichnung als 'Kanzlerdarsteller' durch seine Gegner stimmt zumindest so viel, dass er stets in bestimmten und wechselnden Rollen Präsenz zeigte und die Politik als Bühne seiner Tatkraft zu nutzen wusste.

Zentrales außenpolitisches Kommentarthema ist der Besuch von US-Präsident Bush in China. Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND schreibt hierzu:

"Bush hat in China starke Worte gefunden. So deutlich wie kein anderer ausländischer Staatschef zuvor hat er die kommunistische Staatsführung aufgerufen, ihren Bürgern mehr politische und ökonomische Freiheit zu gewähren. Das verdient Respekt - und hinterlässt doch zugleich ein ungutes Gefühl. Denn Bushs Auftritt in Peking war mindestens so sehr an die Wählerschaft daheim gerichtet wie an die Herren der KP Chinas. Er spiegelte insofern nicht Stärke, sondern die gravierende innenpolitische Schwäche des Präsidenten. Diese Schwäche wird zum internationalen Problem."

Die NEUE RUHR/NEUE RHEIN ZEITUNG aus Essen sieht es so:

"Bush nahm demonstrativ an einem evangelischen Gottesdienst teil und sprach von Freiheit, die wichtig sei. Doch das schreckt die kommunistische Führung längst nicht mehr. Die Antworten sind ritualisiert, Diskussionen gibt es nicht, kritische Fragen sind nicht erlaubt. Der chinesische Präsident Hu Jintao trägt ein neues Selbstbewusstsein zur Schau, das mit Macht und Größe Chinas einhergeht und die Bedeutung des Landes spiegelt. Und er steht einem Mann gegenüber, der durch den Irak-Krieg, die Folterungen von Abu Ghraib und die Rechtlosigkeit in Guantanamo als Verfechter der Menschenrechte Schaden genommen hat."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU ist der Ansicht, auch politisch habe das Treffen von Bush und Hu keine Annäherung gebracht.

"Im Gegenteil. In Washington sieht man die Volksrepublik als künftigen Konkurrenten und möglichen Gegner. Ebenso tief sitzt in China das Misstrauen gegenüber den USA. Ein Erfolg wäre dieses Gipfeltreffen gewesen, wenn Bush und Hu in Peking zumindest eine Gesprächsbasis gefunden hätten. Doch in den Abschlusserklärungen redeten sie konsequent aneinander vorbei. Bush dozierte über Freiheiten. Hu warnte vor der Unabhängigkeit Taiwans. Bushs Besuch machte deutlich, wie tief die Risse in den Beziehungen der beiden Großmächte bereits sind."

Ähnlich die Einschätzung der STUTTGARTER ZEITUNG:

"George W. Bush hat seine Ziele in Peking verfehlt. Die Menschenrechte wollte er stärken und die Märkte öffnen. Doch Chinas starker Mann, Hu Jintao, hat ihm in keinem der beiden Bereiche Zugeständnisse gemacht. Ökonomisch betrachtet heißt das, dass das heute schon gigantische US-Handelsdefizit weiterwachsen wird. Die billigen 'Made in China'-Importe werden die USA weiterhin überfluten, die Exporte ins Reich der Mitte bleiben teuer, die Angst vor einem Handelskrieg ist nicht unbegründet."