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Pressestimmen von Montag, 22. März 2004

Barbara Zwirner21. März 2004

Führungswechsel in der SPD

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Herausragendes Kommentarthema in der deutschen Tagespresse ist an diesem Montag der Wechsel an der Führungsspitze der SPD.

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER schreibt zur Übergabe des Parteivorsitzes an Franz Müntefering:

"Unversehens und letztlich auch unvorbereitet ist die SPD vor eine historische Aufgabe gestellt worden. Nach der Neuordnung der Ostpolitik in den Zeiten des Kalten Krieges leitet sie nun die Modernisierung der deutschen Gesellschaft ein. Das ist eine gewaltige
Herausforderung für eine Partei, die die längste Zeit Opposition war und deren politischer Stil, deren Denken und Handeln bis heute durch die Opposition geprägt ist... Schröders Rede hatte einen deutlich
nationalen Tonfall. Er sprach über den patriotischen Charakter der SPD und forderte eine nationale Anstrengung: Erst das Land und dann die Partei. Mit dieser Formel umschreibt Schröder seine Einsicht, dass die SPD gerade für ihre Bereitschaft, auch unpopulär zu
regieren, in die Opposition geschickt wird. Das nimmt er in Kauf. Und es gibt eine Chance, dass die SPD ihm folgt."

Die Zeitung NEUES DEUTSCHLAND in Berlin meint zum Wechsel an der SPD-Spitze:

"Da ist es nun geschehen, mit ein paar Tränen und viel Pathos.
Franz Müntefering hat Gerhard Schröder am Sonntag in Berlin an der Spitze der SPD abgelöst, um die Partei aus ihrem Jammertal
herauszuführen. Mit der Stabübergabe vollendet sich zudem die Wandlung der Sozialdemokratie in eine Partei neuen Typs. SPD -
Stimmungspartei Deutschlands. War Schröder der Mann für die
Mediendemokratie, so personifiziert Müntefering den aktuellen Wandel hin zu mehr Genossengefühl. Denn es gab nur einen Grund, ihn zum
Schröder-Nachfolger zu machen: Einer muss das halb leere Glas
glaubwürdig zum halb vollen erklären."

In der OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock lesen wir:

"Der neue SPD-Chef Müntefering überraschte mit einem Traumergebnis, vor allem weil die Partei nach einem ehrlichen, knorrigen Arbeiter ohne Machtallüren an der Spitze lechzte. Der etwas bieder-altmodische Sauerländer verfügt über zwei Dinge, die sein Vorgänger nicht in dem Maße besitzt: Erstens mehr Zeit für die nicht einfache Partei und zweitens genießt er das Vertrauen seiner Genossen. Müntefering könnte der ideale Prinz sein, der das sozialdemokratische Dornröschen aus dem Schlaf erweckt und sie auf die zuweilen brutalen Reformen einstellt. Motto: neue Ehrlichkeit. Gleichwohl ist mit dem Führungswechsel die Misere in der Regierungspartei im Umfragetief keinesfalls behoben."

Die STUTTGARTER ZEITUNG kommentiert:

"Mit sensationell guten 95,1 Prozent haben die Delegierten den Sauerländer an die Spitze der Partei gewählt. Das ist ein blendender Start. Und doch wird Müntefering noch nicht viel mit dem triumphalen Ergebnis anfangen können. Denn wofür stehen diese 95 Prozent? Für den Auftrag, Schröders Reformen mutig zu unterstützen? Für den Wunsch, die Agenda schnellstens zu entschärfen? Oder einfach nur für die Hoffnung, dei Partei in ihrer schwersten Krise vor einem Auseinanderreißen zu bewahren? Nur soviel ist sicher: Der neue Parteichef wird alle Händer voll zu tun haben, die SPD von unten zu stabilisieren, ihr neuen Mut zu machen. Das ist ein Knochenjob."

Auch die ABENDZEITUNG aus München bleibt skeptisch:

"So sehr der neue Hoffnungsträger als Retter in der Not auch bejubelt wurde, die SPD bleibt vorerst doch die alte mit allen Sorgen und Problemen. Ein Fünf-Stunden-Parteitag und ein neuer Chef machen noch keinen Sommer. Zumal Müntefering eben nicht der Heilsbringer, sondern eher das letzte Aufgebot der SPD ist. Müntes Optimismus in Ehren, aber solange die SPD zerrissen über den Reformkurs bleibt, ihn nur widerwillig und wegen des Machterhaltes trägt, kann sie weder ihre verunsicherten Anhänger noch irritierte Wähler überzeugen. Zu vieles passt einfach nicht zusammen. Was die SPD aber vor allem dringend braucht, sind Erfolge, die wieder
Selbstbewusstsein bringen."

Die in Karlsruhe erscheinende Zeitung BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN ist der Ansicht:

"Ein Risiko allerdings bleibt. Als Partei- und Fraktionsvorsitzender ist Franz Müntefering jetzt so mächtig wie vielleicht kein Sozialdemokrat vor ihm. Selbst Regierungschef werden will der Sauerländer zwar nicht, weil er weiß, dass dieses Amt eine Nummer zu groß für ihn wäre. Gerhard Schröder aber ist nicht mehr Herr des Verfahrens. Er ist jetzt Kanzler von Münteferings Gnaden."

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG resumiert:

"Ohne mehr Wirtschaftswachstum und vor allem ohne neue Jobs gibt es für die SPD an der Regierung keine Zukunft. Wenn die Partei mit ihrem Versuch scheitert, sich ehrlich zu machen und Abschied von der nationalen Idylle der Kapitalismus-Zügelung zu machen, dann ist Schröder endgültig weg."