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Pressestimmen von Montag, 23. August 2004

Arian Fariborz 22. August 2004

Gesetzlicher Mindestlohn / Debatte um Zahnersatz-Finanzierung / Proteste gegen Hartz IV

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Im Blickpunkt der Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen stehen an diesem Montag der Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Müntefering für einen gesetzlichen Mindestlohn, der Streit um die Zahnersatz-Finanzierung und die Montagsdemonstrationen gegen die Hartz IV-Regelungen.

Münteferings Vorschlag für einen gesetzlichen Mindestlohn kommentiert die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Weder die großen Gewerkschaften noch der Kanzler wollten bisher das Thema Mindestlöhne anfassen. Ein Akt von Verdrängung, denn um dieses Thema herum führt kein Weg mehr. Deshalb ehrt es Franz Müntefering, dass er dran bleibt. Mit seinem Vorstoß eröffnet er die Möglichkeit, rechtzeitig und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Das Flächentarifsystem wird - nicht nur in Ostdeutschland - löchriger, mehr und mehr Betriebe regeln ihre Arbeits- und Lohnbedingungen in eigener Regie. Hartz IV kommt noch hinzu. Langzeitarbeitslose werden bald gezwungen sein, so gut wie jede Arbeit anzunehmen. Beide Entwicklungen befördern eine Spirale nach unten: Lohn-Dumping."

Und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meint:

"In dreißig Jahren hat die Tarifpolitik den faktischen Mindestlohn nach oben geschraubt - einer der Ursachen dafür, dass die Arbeitslosigkeit bei gering qualifizierten Menschen in Deutschland überdurchschnittlich hoch ist. Und einer der Gründe, weshalb Hartz IV überhaupt notwendig wurde. Wie in dieser Situation ein gesetzlicher Mindestlohn wirkt, hängt von dessen Höhe ab. Läge er deutlich über dem Niveau bisheriger Billigjobs dann machte er die Wirkung von Hartz IV zunichte. Läge er niedriger, wäre das ganze reine Kosmetik. In beiden Fällen kann man daher nur sagen: Hände weg vom Mindestlohn."

Über den Vorschlag von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt an die Christdemokraten, statt der Pauschale in der Gesundheitsreform künfig einen einkommensabhängigen Beitrag zu erheben, schreibt der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn:

"Im Streit um die Zahnersatz-Finanzierung ist die Union in einer Zwickmühle, aus der sie sich nicht ohne Verluste befreien kann. CDU- Chefin Angela Merkel weiß, dass sie mit einem pauschalen Beitrag, der Geringverdienern ebenso viel abverlangt wie Wohlhabenden, derzeit nur Wasser auf die Mühlen derjenigen gießen würde, die von der Politik nach Hartz IV ohnehin nichts Gutes mehr erwarten. Lässt sie sich aber auf eine einkommensabhängige Beitragserhebung ein, verzichtet sie auf einen für sie zentralen Baustein der Gesundheitsreform, der den Weg für die allgemeine Gesundheitspauschale bereiten sollte."

Ganz ähnlich bewertet das MAIN-ECHO aus Aschaffenburg das Dilemma der Christdemokraten:

"Diese Entscheidung schmerzt: Soll die Union sich im Streit um den Zahnersatz dem Willen der Koalition beugen - oder konsequent Kurs halten? In der Sache spricht vieles für den Plan von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die Beiträge für die neue Zahnersatzversicherung ans Einkommen zu knüpfen...Angela Merkel kann also nur verlieren. Schwenkt sie auf Ulla Schmidts Linie ein, wird ihr das als mangelnde Standhaftigkeit ausgelegt werden. Bleibt sie hart, wird die Koalition ihr die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass die neue Zahnversicherung für viele Mitglieder der gesetzlichen Kassen teurer wird als sie sein müsste."

Themawechsel: Die STUTTGARTER ZEITUNG beleuchtet kritisch die Proteste gegen Hartz IV in Ostdeutschland:

"Der symbolträchtige Montag der Leipziger Demonstrationen gegen das SED-Regime wird zum Jour fixe des Sozialprotests gegen das Establishment eines Staates, dem beizutreten 1989 der Wunsch der Demonstranten war. Politisch profitiert davon heute niemand mehr als ausgerechnet die SED-Nachfolgerin PDS. Geschichte kann makaber sein."

In der Tageszeitung DIE WELT heißt es:

"Die Melange aus Kapitalismuskritik, Wärmehallen-Klientelismus, volkstümelnder Antipolitik und Wendewut beginnt einen leicht abgestandenen Geschmack anzunehmen. Selbst PDS-Wähler trauen ihrer Partei die Lösung der Probleme nicht zu. Wer heute auf SPD-Veranstaltungen die Ein-Euro-Jobs als 'Reichsarbeitsdienst' bezeichnet, erntet ungeduldiges Murren. Es hat sich auch herumgesprochen, dass die Hauptlasten der Transferleistungen von den Normalverdienern bestritten werden müssen, und sie sind das Volk..."

Soweit die Presseschau.