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Pressestimmen von Montag, 24. November 2003

23. November 2003

Schewardnadses Rücktritt // BA-Chef Gerster in der Kritik

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Zentrales Thema in der deutschen Tagespresse ist an diesem Montag der Rücktritt des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse. In den Blick nehmen die Kommentatoren außerdem den Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster. Er ist in die Kritik geraten, weil er einen Medienberater für 820.000 Euro engagierte. Zunächst aber zur Situation in Georgien.

DER TAGESSPIEGEL aus Berlin meint:

'Nachdem Schewardnadse zurückgetreten ist, droht in Georgien ein Machtvakuum. Denn in einem Punkt hat Schewardnadse Recht: Parallelen zu den Ereignissen im Herbst '91, die kurz darauf zum Bürgerkrieg eskalierten, sind nicht zu übersehen. Auch damals stürzte die Straße den ersten frei gewählten Präsidenten Georgiens, dem seine Gegner die gleichen Demokratiedefizite vorwarfen wie sie Schewardnadse zu Recht vorgehalten worden sind. In dieser Lage gibt es keine tragfähige Alternative zu neuen Parlamentswahlen. Vor allem aber muss die Opposition sich und der Welt beweisen, dass sie fähig und willens ist, ihre legitime Forderung nach einem Machtwechsel mit legalen Mitteln zu festigen. Dann wird sie bei fairen Wahlen wirklich die Mehrheiten gewinnen, auf die sie sich bisher bloß beruft.'

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt kommentiert:

'Dass dieser Kessel irgendwann in die Luft gehen musste, war vorhersehbar. Georgien hat die Chancen, die sich mit der Unabhängigkeit in den 90er-Jahren boten, nicht genutzt. Einst jene Republik der Sowjetunion, die am trickreichsten an dem Mangelsystem verdiente, erlebte die Region erst einen blutigen Bürgerkrieg und dann einen rapiden Niedergang. Bittere Armut war die Folge. Eine Mitschuld dabei trägt auch der in Deutschland nach wie vor wegen seiner Rolle bei der Wiedervereinigung hoch geschätzte Eduard Schewardnadse. Es gelang ihm zwar, während seiner Präsidentschaft Georgien, mit Ausnahme Abchasiens, zu befrieden, wirtschaftlich blieb die Lage jedoch desolat.'

Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle sieht die Ursache für den Sturz von Schewardnadse auch in Konflikten zwischen ethnischen Gruppen. Im Kommentar heißt es:

'Diese waren vom Präsidenten selbst nicht beherrschbar. Immer wieder brauchte er die Hilfe Moskaus - und Washingtons. Diesmal hoffte er vergebens. Russland kann im Kaukasus nicht noch einen Unruheherd gebrauchen. Schon jetzt gelten die Bergregionen Georgiens als Rückzugsgebiete tschetschenischer Rebellen. Hätte sich Schewardnadse länger an die Macht geklammert, ein Bürgerkrieg wäre unausweichlich gewesen. Und der hätte das ganze Land zur Brutstätte des Terrorismus gemacht. Die USA bangen zudem um Georgien als Transitland für Öl.'

Zur Lage in Georgien schließlich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die auch die Europäische Union am Zug sieht:

'Die Europäer könnten gleichfalls ihre Chance nutzen, den künftigen Regenten zu helfen und langfristig zur Stabilität der strategischen Region beizutragen. Vor allem braucht Georgien neben wirtschaftlicher Unterstützung Hilfe beim Kampf gegen die Versäumnisse der vergangenen Jahre: der grassierenden Korruption, den Mängeln in Justiz und Verwaltung, der Willkür des Staates.'

Themenwechsel und zur Kritik an Florian Gerster, dem Chef der Bundesanstalt für Arbeit. Das Kölner Boulevard-Blatt EXPRESS geht hart mit ihm ins Gericht, wenn es im Kommentar heißt:

'Geld verdient die Bundesanstalt für Arbeit nicht. Doch ihren Chef Gerster scheint's wenig zu kümmern. Es ist noch nicht lange her, da ließ er mal eben für knapp 2 Millionen EUR die Vorstandsetage sanieren - und jetzt der nächste Hammer. Stolze 820 000 EUR darf sich eine Beraterfirma einstreichen - eine 'marktgerechte Summe', wie eine Sprecherin Gersters meinte. Mag sein. Was sie verschweigt: In Zeiten schwindsüchtiger Staatskassen wird in Nürnberg das Geld des Steuerzahlers mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen.'

Auch die STUTTGARTER ZEITUNG weiß dem von Gerster geschlossenen PR-Vertrag nichts Gutes abzugewinnen:

'Gerade in Zeiten, in denen Betroffenen tiefe Einschnitte zugemutet werden, ist es nicht hinnehmbar, wenn auch nur der entfernteste Eindruck entstehen könnte, dass der Behördenchef nach Gutsherrenart waltet. Gerster muss sich vorhalten lassen, dass er Geld ausgibt, das seine Verwaltung nicht hat.' Soweit diese Presseschau - zusammengestellt von Hans Ziegler