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Pressestimmen von Montag, 28. November 2005

Thomas Grimmer27. November 2005

STEINMEIERS ANTRITTSBESUCH IN WASHINGTON - SCHÄUBLE WILL MAUT-KONTROLLEN FÜR FAHNDUNG NUTZEN

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Der neue deutsche Außenminister Steinmeier reist zu seinem Antrittsbesuch in die USA. Im Vorfeld hatten insbesondere Berichte über angebliche Geheimtransporte von Gefangenen durch die CIA Aufsehen erregt. Die deutsche Tagespresse kommentiert die Washington-Visite des Ministers.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG setzt sich mit der Person des Außenministers aus dem Blickwinkel der Amerikaner auseinander:

"Natürlich, als Nachfolger von Joschka Fischer hätte sich diese US-Regierung eher einen anderen gewünscht als ausgerechnet den Intimus von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Dem lästigen Irakkrieg-Rebellen trauert in Washington kaum jemand nach. Aber erstens wurden die Bush-Leute nicht gefragt. Und zweitens werden sie ihre Sorge, da sei ihnen
ein vom Schröder-Virus infizierter Vogel ins atlantische Nest gesetzt worden, höflich verschweigen. Denn, drittens, gilt: Die Regierung am Potomac muss derzeit nehmen, was und wen auch immer sie kriegen kann. Heimische Skandale, vor allem aber das Desaster im Irak, haben den Präsidenten in die Defensive getrieben."

Der MANNHEIMER MORGEN schreibt zur Agenda des Besuchs:

"Frank-Walter Steinmeier kann die Berichte über angebliche getarnte CIA-Flüge wohl kaum unter den Teppich kehren. Seit dem 11. September beansprucht Washington eine Art Ausnahme-Lizenz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die sich mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht immer vereinbaren lässt. Es ist weniger die Aufgabe der Berliner Regierung, dies öffentlich anzuprangern. Sie kann aber auch nicht schweigen oder es gar dulden, wenn Militärflughäfen auf deutschem Boden für Handlungen benutzt werden, die dem Anschein nach Menschenrechte verletzen. Ein souveräner Staat hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, darüber Aufklärung zu verlangen. Die transatlantischen Beziehungen werden es schon verkraften, dass Deutschland seine Werte nicht der Partnerschaft mit den USA opfern will."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint:

"Aufzuräumen gibt es in den deutsch-amerikanischen Beziehungen schon unter normalen Umständen reichlich. Aber wenn Außenminister Steinmeier an diesem Montag in Amerika eintrifft, sind die Umstände (...) alles andere als normal. (...) Wenn irgendwo Verdächtige gefasst werden und anschließend zur Vernehmung gebracht werden, ist das noch nichts Verwerfliches. Wenn Gefangene allerdings, wo auch immer, von wem auch immer, gefoltert werden, dann ist das nicht zu tolerieren. Hier hätte die amerikanische Regierung die große Chance, einige Dinge gerade zu rücken."

Das aktuelle Verhältnis zwischen den Staaten bewertet der KÖLNER STADT-ANZEIGER so:

"Die Öffentlichkeit im Westen wäre vermutlich bereit, den USA einen Handlungsspielraum im Kampf gegen den Terrorismus zuzubilligen, wenn sie im Kern Vertrauen zur Regierung in Washington und deren Geheimdiensten haben könnte. Das genau ist aber nicht der Fall. Nach dem 11. September standen die USA auch vor der Herausforderung, ihre
eigenen rechtsstaatlichen Normen zu verteidigen (...) statt Barbarei mit neuem Unrecht zu beantworten. (...) Doch mit der Preisgabe seiner Prinzipien bewegt sich ein demokratischer Staat am Abgrund."

Ein weiteres Thema, das die deutschen Zeitungen in den Mittelpunkt ihrer Kommentare stellen, ist die Ankündigung von Innenminister Schäuble, bei der Fahndung nach Terroristen und Kapitalverbrechern künftig auch die Daten der Maut-Erfassung für Lkw heranziehen zu wollen.

Die SAARBRÜCKER ZEITUNG kann dem Vorschlag durchaus Positives abgewinnen, äußert aber auch Bedenken:

"Auf den ersten Blick kann man sich diesem Argument ja nicht verschließen: Wenn es darum geht, Straftaten zu verhindern oder zu verfolgen, muss vieles möglich und erlaubt sein. Da hat der neue Innenminister Wolfgang Schäuble ohne Zweifel Recht - und er hält es wie sein Vorgänger Otto Schily. (...) Doch Schäubles Idee ist ziemlich unausgegoren. Vor allem aus Gründen des Datenschutzes. Der Minister lässt offen, wie er denn den gläsernen Verkehrsteilnehmer
verhindern will. Nur mit vernünftigem Datenschutz kann Willkür verhindert werden.'

Auch die in Heidelberg erscheinende RHEIN-NECKAR-ZEITUNG sieht hier Handlungsbedarf:

"Das war ja klar: Wenn die Daten von mutmaßlichen Verbrechern verwendet werden können, dann wird der Damm des Datenschutzes sehr schnell brechen. Und in der Tat spricht nichts dagegen, etwa die Spur von Lkw-Fahrern zu verfolgen, wenn diese - wie vor kurzem geschehen -
mutwillig einen Parkwächter totfahren, um zehn Euro Gebühr zu sparen. (...) Auch zu Zwecken der Terroristenjagd ist es sinnvoll, Maut-Daten freizugeben. Es wird Zeit, dass der Gesetzgeber endlich klar definiert: Wie viel vom modernen Menschen muss privat bleiben."

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER hat schwerwiegendere Einwände:

"Was hat ein Lastwagen mit Terrorismus zu tun? In Baden-
Württemberg ist ein Brummifahrer über die Autobahn entkommen, der zuvor einen Parkwächter überfahren und getötet hatte. Bei derart schweren Delikten kann man darüber nachdenken, ob Maut-Daten bei der Ahndung eines Verbrechens hilfreich sein können. Eine generelle
Ausnutzung von tagtäglich Zigtausenden Daten aber dürfte mit dem Datenschutz nicht vereinbar sein. (...) Außerdem ist es mittlerweile fast üblich geworden, Alles und Jedes mit der terroristischen Gefährdung zu begründen, als würden hierzulande mit Bomben gespickte Lastwagen über die Autobahn fahren. Deutschland ist nicht der Irak."

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock hat andere Befürchtungen - sie sieht die Probleme eher in der technischen Ausstattung der Ermittler:

"Einerseits erwarten wir vom Staat, dass er für unsere Sicherheit sorgt. Andererseits fallen wir seinen Behörden sofort in den Arm, wenn sie eine Maßnahme planen.Was spricht denn dagegen, dass ein Verbrecher auf der Flucht mit allen vorhandenen technischen Möglichkeiten verfolgt wird? Die sind mit einem Blick auf die armselige Ausstattung der Polizisten in Deutschland eh nicht hoch, wenn man nur an die vorsintflutlichen Sprechgeräte denkt. Von notwendiger Kooperation über Ländergrenzen, sogar innerhalb der EU, gar nicht zu reden. Da hat das organisierte Verbrechen die Nase vorn. Also, lassen wir Schäuble seinen Job machen."