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Pressestimmen von Montag, 29. Mai 2006

Siegfried Scheithauer28. Mai 2006

Der deutsche Papst in Auschwitz-Birkenau / Das Image Deutschlands vor der Fussball-WM

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Papst Benedikt XVI., der Papst aus Deutschland, hat im früheren Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau um Vergebung und Versöhnung gebeten und die Verbrechen der Nationalsozialisten verurteilt. Dies ist das bestimmende Thema der Leitartikler an diesem Montag.

Auch die AUGSBURGER ALLGEMEINE zeigt sich beeindruckt und schreibt:

"Diese Bilder wird die Welt im Gedächtnis behalten. Der deutsche Papst geht schweigend durch das Gittertor des Vernichtungslagers Auschwitz - wie so viele unschuldige Opfer der national- sozialistischen Besatzer. Einige Überlebende kann Benedikt XVI. sprechen, ihnen die Hand drücken, sie liebkosen. Symbolkräftiger kann Versöhnung nicht aussehen. Seine deutsche Herkunft prägte den gesamten Besuch in Polen. Nach dem Weltjugendtag in Köln sollte der Brückenschlag zwischen West und Ost einen Akzent in Europa setzen. Papst Benedikt verkörpert den guten Deutschen."

Die BERLINER ZEITUNG blickt noch einmal zurück und vergleicht:

"Auschwitz muss für jeden Papst, der sich als Stellvertreter Christi hier einfinden soll, eine Qual sein. Dem Polen Johannes Paul II. wurde eine Vereinnahmung der jüdischen Opfer vorgeworfen. Und sein Nachfolger, Benedikt XVI. hat es noch ungleich schwerer. (...) Was da in Auschwitz geschieht, ist für ein kleines Menschenhirn schwer zu fassen. Rund sechs Jahrzehnte nachdem im Namen (...) Deutschlands fast pausenlos ganze Familien nackt in die Gaskammern geschickt wurden, kehrt ein ehemaliger Hitlerjunge als Papst an den grässlichsten dieser verfluchten Orte zurück."

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin zieht folgende Bilanz:

"Auch wenn der deutsche Papst an der Weichsel längst nicht die Popularität seines Vorbilds Karel Wojtyla genießt, empfanden die meisten der tiefgläubigen Katholiken Polens die Visite von Benedikt XVI. als tröstend. (...) Der deutschen Verantwortung für die Verbrechen, die mit dem Namen Auschwitz verbunden sind, hat sich der Papst gestellt, gleichzeitig die befürchtete Vereinnahmung nichtchristlicher Opfer vermieden. Theologische Neuerungen waren von dem 'Bewahrer' Benedikt bei seiner Pilgerreise durch Europas stärkste Katholiken-Bastion hingegen nicht zu erwarten."

Gerade dies wird von der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU positiv beurteilt:

"Im wichtigsten Moment seines bisherigen Pontifikats hat Joseph Ratzinger die Größe gezeigt, auf jeden Anschein einer christlichen Deutungshoheit über Auschwitz zu verzichten. Mehr als jedes kluge theologische Konzept könnte diese Zurückhaltung die Verbundenheit beider Religionen fördern: Das Bekenntnis dazu, dass auch einem Papst in Auschwitz nicht mehr bleibt als das Schweigen, der stumme Schrei und die Bitte um Versöhnung."


Neues Thema. Immer wieder ausländerfeindliche Übergriffe durch Rechtsradikale, nun der Amoklauf eines Jugendlichen in Berlin: Auch die deutschen Leitartikler machen sich Gedanken über das Bild Deutschlands in der Welt, wenige Tage vor der Fussball- Weltmeisterschaft.

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf mahnt zur Ehrlichkeit:

"Auch unter Marketing-Strategen hat sich herumgesprochen: Wer schlechte Nachrichten verschweigt, macht einen Fehler. Es gibt in unserem Land eben Zonen, die von rechtsradikalen Schlägerbanden ausländerfrei gehalten werden. Und wenn demnächst die 'Welt zu Gast bei Freunden' sein soll, wäre es gut, wenn sie das weiß. Es ist ja nicht so, dass die Fans gleich welcher Hautfarbe auf dem Weg zum Stadion oder zum Hotel automatisch etwas zu befürchten hätten. Aber so viel Freundschaft muss schon sein, den dunkelhäutigen Brasilien- Fans rechtzeitig vor dem Endspiel mitzuteilen, welche S-Bahn-Linien sie besser meiden sollten."

Die LANDESZEITUNG aus Lüneburg sieht es so:

"Absolute Sicherheit gibt es nicht, schon gar nicht bei Groß- veranstaltungen. Da genügt ein Verrückter in der Menge, um ein Blutbad anzurichten - wie der Messerstecher in Berlin bewiesen hat. (...) Zusätzlich angestachelt hat das Trauma von München: Ein zweites Mal will Deutschland einen Anschlag auf ein sportliches Großereignis nicht erleben - wie 1972 auf die Olympischen Sommerspiele. Trotz berechtigter Sicherheitsbedürfnisse muss sich das Land dennoch möglichst weit zurücknehmen. Sonst erscheint die Bundesrepublik der Weltöffentlichkeit als ein Polizeistaat, der sie nun wahrlich nicht ist."

Die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG will alle Zweifel zurückweisen:

"Natürlich könnten wir jetzt jede Straftat und jedes Unglück mit der Weltmeisterschaft in Verbindung bringen. Mit der vielzitierten 'German Angst' wird es uns schon gelingen, die Freude auf das größte Sportereignis in Deutschland seit mehr als 30 Jahren zu vermiesen. Die Welt freut sich auf die WM - und wir machen uns in die Hosen! (...) Gefahren gehören zum Leben - ob mit oder ohne Fußball-WM."

Die NEUE RUHR/NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen wirft ein Schlaglicht auf die deutsche Gemüts- und Seelenverfassung:

"Wir sind stolz auf die Fußball-WM in Deutschland - und auf unser Land. (...) Das jetzt wieder entdeckte Nationalgefühl erwächst nicht aus der triumphalen Erkenntnis, wir seien wieder wer. Bei allen Verwerfungen und Katastrophen unserer Geschichte - es gibt viel Großartiges und Liebenswertes in diesem Land. (...) Aber wir sind fixiert auf die Dinge, die n i c h t funktionieren. Wir klagen über Arbeitslosigkeit, Überalterung oder mangelnden Reform- elan. Trotzdem beneiden uns andere um unsere Lebensumstände, Fähigkeiten und Traditionen."