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Pressestimmen von Montag, 3. April 2006

Ulrike Quast3. April 2006

Schröders Gasprom-Engagement

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Wegen einer Milliarden-Staatsbürgschaft für den russischen Gasprom- Konzern, der in den letzten Amtstagen der rot-grünen Koalition gewährt wurde, steht Altkanzler Schröder in der Kritik. Den Vorwurf, sein Regierungsamt zum persönlichen Vorteil missbraucht zu haben, wies Schröder zurück. Die Kommentare der Tagespresse bewerten den Pipeline-Deal überwiegend kritisch.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG kommentiert:

"Es geht nicht darum, wann er was über die Bürgschaft wusste. Er wird sie ja kaum persönlich unterschrieben haben. Vielmehr steht der Zusammenhang der von ihm persönlich verfolgten Politik einer engen Verbindung mit Russland, der Freundschaft mit Putin und des Eintretens für die Pipeline zur Debatte. Der Verlust an Einfluss und Ansehen schmerzt abtretende Politiker und Manager vielleicht mehr als alles Geld. Das rechtfertigt aber noch lange nicht, aus einem politischen Mandat jeglichen persönlichen Nutzen zu ziehen. Schröders Aufsichtsratsvorsitz ist ja nicht mit dem Beirat einer Bank zu vergleichen. Der frühere Kanzler hat einen schweren Regelverstoß begangen."

Die STUTTGARTER ZEITUNG ist der Ansicht:

"Mit seinem fliegenden Wechsel vom Kanzleramt in die Dienste eines vom Kreml dirigierten Unternehmens hat Schröder dem eigenen Nachruhm, dem Ansehen der Politik und seinem Land keinen guten Dienst erwiesen. Als Privatmann profitiert er von einem Milliardengeschäft, das er selbst massiv betrieben hat. Vor diesem Hintergrund ist es dem verdrossenen Publikum kaum zu verdenken, das ohne Umschweife glauben mag, er habe auch die umstrittene Bürgschaft eingefädelt. Das ist bisher nicht erwiesen. Aber es ist schlimm genug, dass der Verdacht entstehen kann, der Staatsmann Schröder habe so für die Kapitalisierung seiner Kanzlerentscheidungen vorgesorgt."

Und die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle kommentiert:

"Wieder Schröder. Wieder Gasprom. Wieder dieses Gefühl, da ist gekungelt worden, damit der Altkanzler nach seinem Ausscheiden aus der Politik ein kommodes Auskommen hat. Um den Verdacht zu entkräften, Schröder habe sich Vorteile verschafft, müssen schleunigst Fragen beantwortet werden. Was wusste er von der Bürgschaft? ... Unter dem Strich bleibt also viel Klärungsbedarf. Und die wachsende Gewissheit, dass Politikern unmittelbar nach ihrer Pensionierung die Tätigkeit für ein Unternehmen verwehrt bleiben sollte."

Die Heidelberger RHEIN-NECKAR-ZEITUNG verlangt:

"Der Bundestag ist verpflichtet, die gesamte Angelegenheit aufzuklären. Hier geht es um mehr, als um eine Männerfreundschaft zwischen Schröder und Putin. Hier geht es um die Frage, was politisch erlaubt und moralisch noch hinnehmbar ist. Oder rechtfertigen Wirtschaftsinteressen inzwischen jede Geschmacklosigkeit? Das wäre eine Trendwende zum Unerträglichen."

Ein Blick in die ABENDZEITUNG aus München:

"Es mag durchaus sein, dass die Zusage einer Staatsbürgschaft für Gasprom ein Routinevorgang für die damalige Regierung war. Und dass die Entscheidung darüber tatsächlich in keinerlei Zusammenhang mit dem späteren Jobangebot für den Altkanzler und frisch gewählten Aufsichtsratschef stand. Dass sich jetzt aber Schröder und sein Finanzminister Eichel wegducken und beteuern, nicht die leiseste Ahnung von dem Vorgang gehabt zu haben, ist durchaus erstaunlich. Verantwortlich für das damalige Regierungshandeln war der Minister und in letzter Konsequenz natürlich der Bundeskanzler selbst. Dass Gerhard Schröder dazu nicht steht, ist mindestens seltsam und hinterlässt schon einen sehr schalen Nachgeschmack."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint:

"Es gehört zur Dynamik von Affären, dass jede neue Einzelheit in der Lage ist, einen zurückgehenden Empörungspegel wieder steigen zu lassen. Die neueste: Die vorige Bundesregierung war, in Person ihres Wirtschaftsministers, bereit, das Projekt der deutsch-russischen Ölpipeline nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch zu fördern. Durch eine Bürgschaft. Eine neue Qualität der Affäre? Höchstens wenn sich herausstellen sollte, dass Schröder doch davon gewusst hat. Aber dann wäre die Lüge das neue Skandalon nicht die Tatsache, dass er ein Projekt keineswegs bloß en gros, sondern auch im Detail betrieben hat."

In der LANDESZEITUNG aus Lüneburg heißt es:

"Würde die große Koalition jetzt eine Milliardenbürgschaft für den Bau der Ostseepipeline beschließen, wäre sie für ihre Weitsicht zu loben, Deutschlands Chancen im Verteilungswettkampf um knapper werdende fossile Brennstoffe zu verbessern. Die stillschweigende Absegnung der Bürgschaft für den russischen Konzern Gasprom durch die scheidende rot-grüne Bundesregierung diskreditiert hingegen diesen energiepolitischen Schachzug. Allzu offensichtlich liegen die Interessenkollisionen. Vielleicht ist der Deal rechtlich unanfechtbar. Doch die Regierten sollten sich nicht damit zufrieden geben, dass die Regierenden gerade noch die Legalität wahren, aber die Legitimität mit Füßen treten."

Abschließend der WIESBADENER KURIER:

"Das müssen schöne Zustände am Ende von Rot-Grün gewesen sein: Der deutsche Steuerzahler soll für 900 Millionen Euro Kredit gerade stehen und weder der Finanzminister noch der Kanzler wollen etwas davon gewusst haben."