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Pressestimmen von Montag, 30. Januar 2006

29. Januar 2006
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Bundeskanzlerin Merkel ist am Sonntag zu ihrem Antrittsbesuch in Israel eingetroffen. Mit Merkels Visite vor dem Hintergrund der angespannten Lage nach dem Sieg der militanten Hamas bei der Parlamentswahl in den Palästinensergebieten beschäftigt sich die deutsche Tagespresse.

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND meint:

"Angela Merkels Besuch in Israel inmitten neuer nahöstlicher Turbulenzen ist für sich schon ein Symbol: Deutschland steht zum jüdischen Staat. Das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ist für jede neue Bundesregierung Pflicht und schließt Solidarität gerade im Konfliktfall mit ein. Der erste Nahostbesuch der Kanzlerin findet in einem höchst brisanten Moment statt. Dennoch ist für Angela Merkel Zurückhaltung angesagt. Sie kann für den Westen nur sondieren, jegliche Vermittlerrolle würde Deutschland überfordern."

Der Kommentator des HAMBURGER ABENDBLATTS schreibt über den zu erwartenden Umgang Israels mit der neuen Regierungspartei der Palästinenser:

"In Israel herrscht Wahlkampf. Wer da erklärt, man werde früher oder später doch mit der Hamas verhandeln, der braucht am 28. März erst gar nicht antreten. Dabei weiß natürlich jeder, dass Israel nach der Wahl mit der Hamas irgendwie auskommen muss, wenn die sich nach dem Vorbild der PLO von einer Terrorgruppe zur politischen Partei wandelt. So funktioniert Politik in Demokratien. Voraussetzung ist, dass die Hamas einen Gewaltverzicht erklärt und das Existenzrecht Israels anerkennt. Davon wird auch Merkel keinen Deut abrücken."

Zu den Chancen des Westens, die Hamas zum Gewaltverzicht zu bewegen, schreibt das NEUE DEUTSCHLAND:

"Der Hamas ist klar, dass sie ohne ausländische Unterstützung politisch scheitern wird (...). Die Autonomiebehörde hängt am Tropf ausländischer Gelder, allein aus Berlin fließen 100 Millionen Euro pro Jahr. Dafür wird Hamas um eine Friedensgegenleistung nicht herumkommen. Für den Anfang dürfte Hamas nicht mehr in Aussicht stellen als eine Verlängerung der seit März 2005 weitgehend von ihr eingehaltenen Waffenruhe. Das ist nicht viel und eigentlich zu wenig. Als Druckmittel taugen die Hilfsgelder indes nur begrenzt: Die Gelder zu kappen, ist wohl der sicherste Weg zu einer stärkeren Eskalation. Ein Ende des Dilemmas ist nicht in Sicht."Der

Der Leitartikler der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG glaubt, dass der Westen den amtierenden Palästinenserpräsidenten Abbas braucht, um nicht mit terrorbereiten Hamas-Leuten verhandeln zu müssen:

"Die Visite Merkels kommt einem Feuerwehreinsatz gleich. Die Devise von US-Regierung und EU-Staaten ist vorläufig, Präsident Abbas davon abzuhalten, die Niederlage einzugestehen und zurückzutreten; er gilt als amtsmüde. Hinzu kommt die Wut der Fatah-Basis über den eigenen Machtverlust. Aus Angst vor einem zornigen Fatah-Mob hat Abbas am Wochenende seine geplante Reise in den Gaza-Streifen abgesagt. Er fürchte dort um sein Leben, heißt es. Die westlichen Staaten brauchen Abbas, um nicht in die peinliche Situation zu geraten, mit Hamas- Mitgliedern Kontakt aufzunehmen, bevor diese nicht dem Terror abgeschworen haben."

Beim Einsturz einer Messehalle im südpolnischen Kattowitz sind am Wochenende 66 Menschen gestorben und mehr als 180 verletzt worden. Das Unglück ist ein weiteres zentrales Kommentarthema in der deutschen Tagespresse.

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN fragen nach der Nachwirkung bisheriger vergleichbarer Unfälle:

"Wieder ist ein Hallendach eingestürzt. (...) Diesmal hat es Taubenzüchter im oberschlesischen Kattowitz in Polen getroffen. Vor vier Wochen waren es Schlittschuhläufer im bayerischen Bad Reichenhall, vor zwei Monaten Schwimmer in der nordrussischen Stadt Tschussowoi am Ural. Reichten diese Katastrophen nicht, um europaweit die Verantwortlichen aufzurütteln? In Polen stürzten in den vergangenen Tagen die Dächer mehrerer Turnhallen und Supermärkte ein. Wieso verstand dies niemand als letzte Warnung? Oder stecken dahinter schlicht Zynismus und Menschenverachtung?"

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint, dass der Sicherheitsaspekt beim Bau der Hallen häufig zu kurz komme:

"Wie der Einsturz des Schwimmbads in Moskau oder der Eissporthalle in Bad Reichenhall wirft das Unglück von Kattowitz erneut die Frage nach der Wintertauglichkeit öffentlicher Hallen auf. Viele der schwungvoll konzipierten Dächer scheinen weder für winterliche Lasten noch für den raschen Abfluss von Tau- und Regenwasser geeignet. Die Sicherheit der Besucher muss aber Vorrang vor ästhetischen und finanziellen Erwägungen haben. Mit dem Zeigefinger sollten empörte Politiker darum nicht nur in Richtung der Hallenbetreiber weisen: Neben Architekten und Statikern ist vor allem die staatliche Bau- Aufsicht gefordert."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt bemängelt die Umsetzung vorbeugender Maßnahmen, selbst wenn sie von offizieller Seite vorgeschrieben werden: "Polens Innenminister hat die Reinigung sämtlicher Dächer vom Schnee angeordnet und mit Strafen gedroht. (...) Es wurde auch bekannt, dass eine ähnliche Anweisung von Warschau schon am 23. Januar herausgegeben und bisher kaum umgesetzt worden war. Die Frage nach den Schuldigen für die Toten von Kattowitz wird also noch mit Schärfe gestellt werden und möglicherweise personelle Konsequenzen haben." Eher philosophische Gedanken macht sich der Kommentator der NEUEN WESTFÄLISCHEN aus Bielefeld: "Wie kann das passieren bei unserem Können, den Kontrollen und Kenntnissen? Die Ursachen lassen sich erforschen, die Verantwortlichen finden, aber eines geht verloren: das Vertrauen irgendwo in Sicherheit zu sein. Gerade das Dach ist Synonym und Symbol für Schutz und Geborgenheit. Wo soll der Mensch noch sicher sein, wenn nicht unter einem gegen Wind und Wetter gefeitem Dach? Stählerne Strommasten knicken im Sturm, Brücken zeigen Spuren der Vergasung, Straßen brechen auf, Schienen führen in die Katastrophe. Immer ist menschliche Schuld dabei, die gesühnt werden muss, aber niemanden wieder lebendig macht. Sicherheit ist eine Illusion und still in seinem Zimmer sitzen kann kein Mensch. Leben heißt hoffen, der Rest ist Schicksal."

Thomas Grimmer