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Pressestimmen von Samstag, 02.März 2002

2. März 2002

Generalprobe für Zuwanderungs-Gesetz / Religiöse Gewalt in Indien

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Die Generalprobe im Bundestag gelang. Doch ob das umstrittene Zuwanderungs-Gesetz auch die parteipolitischen Hürden des Bundesrates überspringt, erscheint eher unwahrscheinlich. Die deutsche Tagespresse versucht sich an diesem Samstag als Punkt-Richter in der Debatte. Etwa der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn:

'Obwohl die Bundesregierung der Union so weit entgegengekommen ist, dass die Grünen sich krumm biegen mussten, haben CDU und CSU die Vorlage abgelehnt. Sie taten dies in solcher Eile, dass die Vermutung nahe liegt, ein Machtwort ihres Kanzlerkandidaten habe die sorgfältige Prüfung der auf 58 Seiten niedergelegten Änderungsvorschläge ersetzt. Bayerns Ministerpräsident mag mit seiner Haltung zwar seine Stammwähler noch fester an sich gebunden haben. Aber auch das dickste Kreuzchen auf dem Wahlzettel zählt nicht so viel wie zwei dünne aus jener heiß umkämpften Mitte, auf die es am 22. September ankommt. Von ihr ist Stoiber abgerückt. Bedauern muss
man ihn deshalb nicht. Er hätte es in der Hand gehabt, seriöse Politik zu machen, statt Wahlpoker zu spielen.'

Die Tageszeitung DIE WELT schreibt zu diesem Thema:

'Es wurde eine Zuwanderungsdebatte aus Leidenschaft - und mit Kalkül. Der grünen Fraktionschefin Kerstin Müller war ihr
Herzensthema genauso anzumerken wie dem CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach die Sorge vor einer Entwicklung, an deren Ende womöglich eine Gesellschaft steht, die keiner mehr wieder erkennt. Doch allein um die Sache ging es im Bundestag nicht mehr. Längst steht die
Zuwanderungsfrage im Zeichen des Wahlkampfs, und der Kanzler hat, heftig sekundiert von seinem Innenminister Schily, den zu erwartenden Versuch unternommen, die Opposition in die Ecke von Obstruktion und Parteitaktik zu drängen. Das muss sie sich zwar nicht gefallen lassen
- ihre Einwände und ihr Grundmisstrauen sind durchaus berechtigt.
Aber sie hat doch wieder einmal das kürzere Ende gezogen. Dem Kanzler kann es ganz recht sein, für sein Gesetz im Bundesrat keine Mehrheit zu bekommen. Er käme mit seiner Klientel nicht in Konflikt, und die Schuld hätten in jedem Fall die anderen. Sollte Brandenburg im Bundesrat aber doch noch zustimmen, wäre es sogar ein Sieg und eine böse Scharte für den Gegenkandidaten Stoiber.'

Schließlich dazu noch ein Blick in die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

'Wenn CSU-Landesgruppenchef Michael Glos allen Ernstes für den Fall eines Wahlsieges ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz' ankündigt, ist das der Abschied aus der wirtschaftlichen Realität. Erst recht gilt das, wenn wider besseres Wissen ein Zusammenhang zwischen dem Zuzug ausländischer Arbeitskräfte und der hohen Arbeitslosigkeit konstruiert wird. Wie das? Mehr als eine Million offene Stellen sind heute partout nicht zu besetzen, weil die entsprechend Qualifizierten fehlen. Auch wenn man hier in Zukunft besser qualifizieren, umschulen, ausbilden würde, wäre das Problem nicht gelöst, im Gegenteil: Die fortschreitende Vergreisung Deutschlands wird immer größere Lücken reißen. Allein schon deshalb ist ein Zuwanderungs-
Gesetz so wichtig und dringlich.'

Themenwechsel: Das NEUE DEUTSCHLAND aus Berlin analysiert die neue religiöse Gewalt in Indien:

'Die Bilder aus Ahmedabad sind deprimierend. Die Gewalt zwischen Hindus und Muslimen kennt keine Grenzen. Gewiss, Auslöser war der Brandanschlag aufgeputschter Muslime auf den mit Hindu-Aktivisten besetzten Sabarmati-Express. Doch die eigentliche Ursache ist die bereits eingeleitete Großaktion der Hindu-Chauvinisten zum demonstrativen Bau eines großen Hindutempels auf den Ruinen der 1992 zerstörten Freitagsmoschee von Ayodhya. Das betrachten die über 120 Millionen muslimischen Inder nicht zu Unrecht als eine böse Provokation. Doch hier geht es noch am wenigsten um religiösen Gefühle. Die Hindu-Chauvinisten bedrohen einen der Grundpfeiler des von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru begründeten Staatswesens - den Säkularismus und damit das gleichberechtigte Zusammenleben der Gläubigen mehrerer großer Religionen. Ayodhya ist dabei nur ein spektakuläres äußeres Zeichen. Nicht minder gefährlich sind die inzwischen weit fortgeschrittenen Versuche der regierenden hinduistischen Volkspartei (BJP), Indiens Geschichte und Bildungswesen total zu 'hinduisieren'.

zusammengestellt von Gerd Winkelmann