1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Samstag, 04. Mai 2002

Michael Wehling 3. Mai 2002

Trauerfeier in Erfurt und Konsequenzen aus Massaker/ Rechtsextremisten in Europa/Entwicklung im Nahost-Konflikt

https://p.dw.com/p/29JD

Die Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs von Erfurt und die Debatte über Konsequenzen aus der Bluttat sind ein beherrschendes Thema der Kommentare der deutschen Tageszeitungen. Beachtung findet auch der Aufschwung des Rechtsradikalismus in Europa sowie die Entwicklung im Nahost-Konflikt.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt zur Trauerfeier in Erfurt:

'In ihrem Ernst und gerade auch in der nach Worten ringenden Hilflosigkeit bildete die Trauerfeier von Erfurt einen wohltuenden Kontrast zum politischen und medialen Routinebetrieb. In Erfurt hat man sehen und spüren können, wie die Menschen im Angesicht des Unfassbaren instinktiv zusammenrücken. Nur in gegenseitiger Zuwendung kann wahr werden, was Ministerpräsident Vogel zitierte: dass sich 'Entsetzen in Kraft, Leiden in Erkenntnis und Schmerz in Liebe verwandeln.'

In der BERLINER ZEITUNG heißt es:

'Der Trauergottesdienst auf dem Erfurter Domplatz war nicht nur ergreifend, bewegend, er war auch erhellend und erschreckend. Er war erhellend, weil zwar alle Redner auf die eine oder andere Weise die 'Selbstüberlassenheit' der Jugend beklagten, die fehlende Fürsorge mancher Eltern, die Pflichtvergessenheit und Blindheit der Gesellschaft, nur von einer Rednerin kam dazu kein Wort - von der Abiturientin, die im Namen aller Schüler des Gutenberg-Gymnasiums
sprach und sich für erwiesene Fürsorge, Pflichterfüllung und
teilnehmendes Interesse bei Lehrern und Eltern bedankte.'

Zu der durch die Bluttat von Erfurt ausgelöste Diskussion über Gewaltdarstellungen in den Medien meint die Tageszeitung 'Die WELT':

'Wenn Medien letztlich nur das widerspiegeln, was in den Menschen vorgeht, die sie gestalten und konsumieren, dann zwingt uns das Fanal von Erfurt zu einem äußerst ernüchternden Blick auf uns selbst.
Welchen Einfluss moderne Medien auch immer auf den Täter von Erfurt gehabt haben mögen, ein guter war es wohl keinesfalls. Die Hoffnung, eine technische Moderne werde uns über kurz oder lang aller wesentlichen Sorgen und Probleme entheben, erweist sich als ebenso trügerisch wie die Ankündigung, Runde Tische schüfen Abhilfe gegen die Verbreitung von Unrat in Bild und Ton.'

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU notiert:

'Auf die Ächtung von Gewalt kommt es mindestens genauso an wie auf ihr Verbot. Darauf also, dass Waffenbesitz oder der Konsum von Gewaltfilmen nicht sozial attraktiv bleiben dürfen, in welchem Teil der Gesellschaft auch immer. Ein paar Verschärfungen des Waffengesetzes wenigstens wird es wohl geben, wenn die Waffenlobby nicht bald wieder das allgemeine Vergessen für sich nutzen kann.'

Die KIELER NACHRICHTEN führen aus:

'Notwendig ist jetzt eine Debatte über die richtigen Vorbilder in unserer Leistungsgesellschaft. Viele Kinder und Jugendliche suchen sich ihre falschen Vorbilder in der Scheinwelt von Fernsehen und Video ja gerade deshalb, weil ihnen die richtigen in der Realität kaum begegnen. Bundespräsident Rau sagte gestern den schlichten Satz: 'Wir müssen uns umeinander kümmern'. Eine Gesellschaft, die das in ihrem Streben nach persönlichem Erfolg und Selbstverwirklichung vergisst, hat keine gute Zukunft. Denn die liegt in den Kindern.'

Zum Aufschwung, den der Rechtsextremismus derzeit in Europa erlebt, macht sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Gedanken:

'Europa wirkt in diesen Wochen wie ein wurmstichiger Apfel. An etlichen Stellen stören braune Flecken die glänzende Oberfläche, und im Inneren ist, wer weiß, vielleicht schon der Kern angefressen. Populisten und Rechtsextremisten gelingt es mühelos, tief in die Gesellschaft einzudringen. Ausgerechnet im frei-gleich-brüderlichen Frankreich ist der Alt-Demagoge Jean-Marie Le Pen in den Stichentscheid um das Präsidentenamt an diesem Sonntag durchmarschiert.'

Abschließend noch ein Kommentar zur amerikanischen Nahost-Politik. Die DRESDNER NEUESTE NACHRICHTEN schreiben:

'Spät, sehr spät, hat US-Präsident Bush eingesehen, dass die amerikanische Politik des tatenlosen Abwartens im Nahen Osten die Region ungebremst in die Katastrophe stolpern lässt. Deshalb ist zu loben, dass Bush endlich konsequent auf eine internationale Nahost- Friedenskonferenz drängt.'