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Pressestimmen von Samstag, 10. September 2005

Arian Fariborz9. September 2005

Umfragen zur Bundestagswahl / Powells Irak-Rede

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Die Kommentare der deutschen Tageszeitungen am Samstag beschäftigen sich vor allem mit den jüngsten Umfrage-Ergebnissen zur Bundestagswahl und mit der Irak-Rede des früheren US-Außenministers Powell vor der UNO, die er als "Schandfleck" seiner Laufbahn bezeichnete.

Die SPD hat nach jüngsten Umfragen zur Bundestagswahl in der Wählergunst sprunghaft zugenommen. Die überraschende Wende kommentiert das HAMBURGER ABENDBLATT:

"Der Wähler wird für Parteien immer mehr zum unbekannten Wesen und stellt sie im Wahlkampf vor immer neue Rätsel. Denn immer weniger Wähler sind parteitreu. Immer mehr gehen als Wechselwähler mal fremd. Launisch sind viele Wähler auch, tendieren mal hierhin, mal dorthin, bleiben unentschlossen bis zum Wahltag. Sie lassen sich nicht lenken wie eine Hammelherde, sondern folgen ihrem eigenen Kopf und wissen zu differenzieren. Viel mehr läßt sich aus den Umfragen zuverlässig kaum herauslesen, obwohl sich der Trend von Schwarz-Gelb weg und hin zu einer Großen Koalition zu drehen scheint. Doch Vorsicht. Die wichtigste Zahl in den meisten Umfragen wird gern übersehen: Rund 20 Prozent der Wähler, also etwa 12 Millionen Menschen, sind noch unentschieden. Mit anderen Worten: Trend hin, Tendenz her in Wirklichkeit ist alles offen."

Auch die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg warnt vor einer Überbewertung der jüngsten Umfragen:

"Einen grandiosen Vorsprung von zehn Prozent sagten die Demoskopen 2002 Rot-Grün voraus. Am Ende entschieden 6000 Stimmen für Schröder. TV-Show und die Aufholjagd des Kanzlers haben ihre Spuren in der öffentlichen Stimmung hinterlassen. Aber die Bürger wählen am 18. September nicht die besseren Wahlkampfstrategen, sondern die ihrer Meinung nach bessere Politik."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG sieht in dem jüngsten Wahltrend eine wachsende Zustimmung zur großen Koalition:

"Anders als Schröder es öffentlich sagt, gibt es durchaus eine Wechselstimmung. Die aber ist aus Sicht von Union und FDP nicht eindeutig positiv, also zu ihren Gunsten, sondern negativ in dem Sinne, dass eine Mehrheit zwar anders, aber nicht ganz anders regiert werden will. Und dieses 'nicht ganz anders' erklärt die wachsende Popularität einer großen Koalition. Die Spitzenkandidaten Merkel und Westerwelle haben bei den eher nach Sympathie entscheidenden Last- Minute-Wählern nicht die Zugkraft von Schröder und Fischer."


Und wir blicken ins Ausland: Der frühere US-Außenminister Colin Powell hat sich von seiner Rede vor dem Weltsicherheitsrat distanziert, mit der er den Krieg gegen den Irak gerechtfertigt hatte. Hierzu meint die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Am 5. Februar 2003 hatte der damalige Außenminister Powell einen denkwürdigen Auftritt im UN-Sicherheitsrat; heute empfindet er ihn als Schandfleck. Denn die Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen, hat sich als falsch erwiesen. War Powell Komplize einer Lügenkampagne, wurde er zu Propagandazwecken mißbraucht? (...) So führte Amerika einen Krieg gegen Saddam, über dessen Sturz Powell, wie er sagt, froh ist, auf legitimatorisch unzureichender Grundlage und mit materiell falscher Begründung."

Abschließend lesen wir in der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG:

"Powells Zerknirschung ist nur zu berechtigt. Sie wäre freilich glaubwürdiger, wenn sie mit einem gehörigen Schuss Selbstkritik verbunden wäre. So weit geht der Ex-Minister jedoch nicht, sieht sich vielmehr selbst als Opfer falscher Informationen aus dem Geheimdienst CIA. Eine rührende Geschichte. Dass ihm die Weltöffentlichkeit, täglich mit den desaströsen Folgen einer unüberlegten US-Politik konfrontiert, seine Darstellung abnimmt, glaubt allerdings wohl nur er selber. Die Zweifel an seiner Irak-Krisenrede vor der UNO waren schon damals so laut, dass sie nur überhören konnte, wer sie nicht hören wollte. Den 'Schandfleck' wird Powell so nicht los. Seinen Fehler hätte er vielleicht mit einem frühzeitigen Rücktritt korrigieren können. Stattdessen verrichtete er brav bis zur Selbstverleugnung seinen Dienst, bis ihm sein Chef George Bush den Stuhl vor die Tür setzte. Für den hatte der Powell seine Schuldigkeit getan."