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Pressestimmen von Samstag, 12. Oktober 2002

Stephan Stickelmann11. Oktober 2002

Friedensnobelpreis für Carter / Koalitionsverhandlungen in Berlin

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Überragendes Kommentarthema der Tageszeitungen ist die Auszeichnung des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter mit dem Friedensnobelpreis. Beachtung finden ferner die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen.

Angesichts der Verleihung des Friedensnobelpreies an den ehemaligen US-Präsidenten notieren die STUTTGARTER NACHRICHTEN:

"Jimmy Carter mag ein besserer Erdnussfarmer gewesen sein als ein Präsident. Doch für die Amerikaner ist er unzweifelhaft der beste Ex- Präsident, den sie je hatten. Seine eigentliche politische Karriere begann erst nach dem schmachvollen Ende seiner Präsidentschaft 1981. Innenpolitisch gescheitert und außenpolitisch glücklos wurde Carter als Privatier zum unermüdlichen Vorkämpfer für Demokratie und Menschenrechte. Die Osloer Entscheidung ist auch eine unverhohlene Kritik am Kurs des US-Präsidenten, der mit martialischer Rhetorik sein Volk auf einen Waffengang gegen Saddam Hussein einschwört."

Ähnlich die Argumentation der FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Zweifellos weiß man auch in Oslo, dass Carter sich unlängst mit sehr deutlichen Worten gegen die konfrontative Irak-Politik George Bushs gestellt hat. Die Ehrung für den Friedensstifter am Vorabend eines möglichen Krieges, einen Tag nach der Abstimmung im US-Kongress: Selten hatte ein Friedensnobelpreis mehr aktuelle Brisanz. Selten auch wurde einem amtierenden US-Präsidenten derart deutlich mitgeteilt, dass er mit seiner gegenwärtigen Politik jedenfalls nicht für den Friedensnobelpreis in Frage kommt."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fragt angesichts der Entscheidung des Nobel-Komitees:

"Verbirgt sich darin die Abneigung vieler Zeitgenossen gegen ein als übermächtig und selbstherrlich empfundenes Amerika, das sich die Freiheit nimmt, der Welt zu sagen, wo es langgeht, und das selber eigene Wege geht? Wenn das Nobelkomitee diesen Carter der Menschenrechte auszeichnen wollte, dann hat es eine gute Wahl getroffen. Wenn es ihm darum gegangen sein sollte, einen ehemaligen Präsidenten zu ehren, der zum Gesicht eines von Selbstzweifeln befallenen Amerika wurde, und genau das die Botschaft wäre, dann ist auch die Auszeichnung mit Zweifeln behaftet."

Weitaus kritischer ist das Urteil der DEISTER- UND WESERZEITUNG. Das in Hameln herausgegebene Blatt bemerkt:

"Es ist unerträglich, wenn der Komitee-Vorsitzende die Nobelpreis- Entscheidung für Jimmy Carter offen auch als Kritik an der derzeitigen US-Regierung charakterisiert. Sollte man sich überhaupt nur zum Zwecke dieser Kritik des alten Präsidenten entsonnen haben? Jedenfalls haben solche Motive eine Rolle gespielt - und das entwertet den Preis in der Tat, es würdigt ihn und den Ausgezeichneten zu Instrumenten inkompetenter politischer Einflussnehmer herab. Die Welt vor den Unberechenbarkeiten eines demnächst atomar bewaffneten Diktators zu schützen, vermag das edle Komitee nicht. Hierzu taugen die Pläne des handfesten Bush noch allemal besser."

Themenwechsel: Die BERLINER ZEITUNG lenkt den Blick auf die Berliner Koalitionsverhandlungen:

"Es ist wichtig, den Haushalt weiter zu konsolidieren, schon um den europäischen Stabilitätspakt zu sichern. Es ist überfällig, die Arbeitsämter an ihre eigentliche Arbeit zu bringen - die Vermittlung, nicht die Verwaltung von Arbeitslosen. Aber so, wie die Lage ist, reicht beides zusammen nicht aus. Nicht annähernd. Die Arbeitslosigkeit wird im Winter auf 4,5 Millionen steigen, die Sozialsysteme geraten tief ins Defizit, der Mittelstand wird von einer Pleitewelle überrollt. 50 000 Arbeitsplätze will allein die Telekom abbauen, die Börsen sind im freien Fall, die Banken in der Krise: Eigentlich müssten in der Koalition die Alarmglocken schrillen. Hört der Kanzler weg, weil er im Wahlkampf beteuert hat, es gebe gar keinen Grund, Alarm zu schlagen?"

Und in der OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera heißt es:

"Würde die bisher von allen Seiten erklärte Bereitschaft zur Mitarbeit an Reformen in die Tat umgesetzt, dann dürfte sich in Deutschland so etwas wie ein Mega-Paradies auf Erden vollenden. Selbst das legendäre Bündnis für Arbeit könne wieder exhumiert werden, boten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in trauter Einigkeit an. Allerdings steht beispielsweise der Forderung der Industrie nach einem Wechsel von der Staats- zur Marktwirtschaft der Wunsch der Gewerkschaften nach Steuererhöhungen und einem 20-Milliarden-Staatsprogramm für den Arbeitsmarkt gegenüber. Es wird wohl doch nicht ganz so schnell wachsen, das Paradies auf Erden."