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Pressestimmen von Samstag, 16. Oktober 2004

zusammengestellt von Bernhard Kuemmerling15. Oktober 2004

Standort Deutschland / CDU auf Schlingerkurs

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Die Kommentatoren der deutschen Tagespresse befassen sich überwiegend mit der Unterschriften-Aktion der Union gegen den EU-Beitritt der Türkei. Ein Thema ist aber auch der massive Stellenabbau in Deutschland.

Hierzu schreibt der Kölner EXPRESS:


"Das Zusammenbrechen der Mega-Unternehmen ist nicht eine Frage des viel zitierten Standorts Deutschland. Es zeigt zwei Folgen der weltweiten Wirtschaftsentwicklung, an die wir uns gewöhnen müssen. Erstens: Firmen, die auf zu vielen Hochzeiten tanzen, stolpern über die eigenen Füße. Zweitens: Kein Arbeitsplatz ist mehr sicher. In dem Maße, wie Unternehmen ihre Kraft auf einige wenige Bereiche konzentrieren müssen, um sich nicht zu verzetteln, müssen Arbeitnehmer sich mit einem Berufsbild anfreunden, das von Vielfalt, von ständiger Weiterbildung lebt. Eine einfache Ausbildung wird nicht mehr reichen, um sich der ständigen Veränderung der Arbeitswelt anzupassen."

Mit dem Schlingerkurs der CDU zur Türkei beschäftigt sich die NORDSEE-ZEITUNG in Bremerhaven und fragt:

"Welcher Teufel nur hat Angela Merkel geritten, dass sie Unterschriften gegen einen EU-Beitritt der Türkei sammeln wollte? Über den Sinn eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union lässt sich trefflich streiten. Doch nicht in Form einer Unterschriftenaktion. Sie lässt nur die Chance, sich gegen den Beitritt auszusprechen. Wenn die CDU-Vorsitzende das Volk befragen will, muss sie sich dafür einsetzen, dass Volksentscheide zugelassen werden."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in München weist darauf hin:

"Die Personalreserve der Union im Bund ist sehr dünn. Fast schon verzweifelt wird jemand gesucht, der das traditionelle Unionsthema Wirtschaft und Finanzen künftig in der Bundestagsfraktion betreut. In einigen CDU-Landeverbänden herrscht Chaos, im Bund ist Mannschaftsdenken nicht erkennbar. Im Kampf um den sozialen Kurs der Union auf dem Weg zur Bundestagswahl vermischen sich Sach- und Machtfragen, persönliche Ambitionen und verletzte Eitelkeiten zu einem explosiven Gemisch. Dem Umfrage-Unsinn zum türkischen EU- Beitritt machte der öffentliche Protest ein Ende. Anderem Unsinn, in der Gesundheitspolitik etwa, müssen Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber noch ein Ende machen."

In der OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera heißt es:

"Manchmal gibt's auch Überraschungen. CDU-Chefin Merkel legte sich gestern fest: Keine Unterschriftenaktion der Union gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass dies missverstanden wird. Obwohl Merkel damit nach der scharfen Kritik von allen Seiten gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen hat, bleibt eine Frage offen: Wie überzeugend ist eine Politik, bei der man nicht ausschließen kann, dass sie missverstanden wird?"

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU meint zur Kehrtwende der CDU-Chefin

"Angela Merkel in Schieflage - das ist eine neue, bisher nicht beobachtete Facette im aktuellen Krisenszenario der CDU. Es wird also keine Unterschriftenaktion in Sachen Türkei geben. Die CDU- Vorsitzende rudert zurück, als falsch und unsinnig gilt ihr heute, was vor Tagen noch eine «gute Idee» war. Wenn Politiker eine unhaltbar gewordene Position räumen, so ist das natürlich vernünftig. Zu kritisieren ist deshalb auch nicht die abrupte Kehrtwende, sondern die Fahrlässigkeit, mit der sie sich vor Wochenfrist in das Abenteuer gestürzt hat. Diese Fehleinschätzung wird nachwirken."

Abschließend noch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"(...)Die CSU-Abgeordneten in Bayern zwangen Stoiber zum Beidrehen. (...) Das Türkei-Thema will Stoiber nun lieber in das Zentrum eines Wahlkampfs rücken; das ist löblich, denn dort gehören Schicksalsfragen hin. (...) Mit einer Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei, die vom politischen Gegner leicht diskreditiert werden könnte, würde die Union die Koalition nicht stoppen können. Wer eine andere deutsche Türkei-Politik will, muß eine andere Regierung wählen."