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Pressestimmen von Samstag, 18.9.2004

Reinhard Kleber17. September 2004

Schily-Vorwurf an Bundesverfassungsgericht wegen NPD / Kanzler kritisiert Mitnahme-Effekte / Islamisten-Kongress in Berlin

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Die Kommentatoren der Tageszeitungen widmen sich vor allem dem Vorstoß von Innenminister Otto Schily zum Umgang mit der NPD und der Kritik des Bundeskanzlers an Mitnahme-Effekten im Sozialstaat. Ein weiteres Thema ist die Debatte um den geplanten Islamisten-Kongress in Berlin.

Im GENERAL-ANZEIGER aus Bonn lesen wir zum NPD-Streit:

"Zwei Tage vor einem möglichen Einzug der NPD in den sächsischen Landtag hat Bundesinnenminister Schily bereits den Schuldigen für den Erfolg der Rechtsaußen gefunden. Nicht etwa die in erster Linie wegen der Reform Hartz IV frustrierten Wähler, sondern das Bundesverfassungsgericht. Wenn Volkes Zorn die NPD über die Fünf-Prozent-Hürde hievt, dann kann man dafür nicht das Bundesverfassungsgericht verantwortlich machen. Dazu gehört schon eine gehörige Portion an politischer Dreistigkeit. Schily lenkt damit zumal von seiner eigenen Verantwortung für das damalige Desaster ab. Er war es, der dem Gericht erklärungslos mehrere Zeugen mit NPD-Parteibuch angedient hatte, die im Solde des Verfassungsschutzes standen. Das ließ den Verbotsantrag platzen."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG gibt in diesem Fall Folgendes zu bedenken:

"Schily mag es bedauern, dass ein neues Verbotsverfahren nun für lange Zeit keine Aussicht auf Erfolg hat. Doch so groß ist dieser Schaden nicht. Denn der sich abzeichnende Stimmenzuwachs für die NPD weist nicht auf ein juristisches, sondern auf ein politisches Defizit hin, das auch durch ein Verbot nicht behoben werden kann. Die NPD profitiert mit ihren dumpfen Ressentiments vom Unmut vieler Bürger über die etablierten Parteien. Es ist die Aufgabe der Politik, dem Bekenntnis der Wähler zum braunen Gedankengut etwas entgegenzusetzen."

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den Deutschen in einem Interview indirekt Schmarotzertum vorgeworfen. Dazu meint DIE WELT aus Berlin:

"Die Mehrheit der Bevölkerung hat die Sozialstaatsangebote gern angenommen, häufig in Verkennung der Tatsache, dass sie selbst in Form ständig steigender Steuern dafür zahlen muss. Darüber sind viele freilich auch in einen Zustand der Unmündigkeit gekommen. Heute erschallt der Ruf nach dem Staat schon bei kleineren Problemen. Es ist begrüßenswert, wenn Schröder jetzt merkt, dass der Sozialstaat überdehnt ist. Daran sind aber nicht die Bürger schuld, sondern die Parteien. Es ist ihre Aufgabe, den Sozialstaat zurückzubauen. Das geht nur im Bundestag, denn er muss die übertriebenen Leistungsgesetze rückgängig machen. Hier warten auf Schröder und die SPD große Aufgaben."

Zu Schröders Raffke-Vorwurf merken die LÜBECKER NACHRICHTEN an:

"Hat der Kanzler Recht? Ein Stück weit sicher. Der Millionär, der ganz zufällig seinen ersten Wohnsitz ins Ausland verlegt, schadet diesem hoch verschuldeten Land. Genauso, wie der Arbeitnehmer, der bei seiner Lohnsteuererklärung einfach ein paar Kilometer bei den Fahrtkosten dazumogelt. Nur der Ursache kommt auch der Mahner Schröder nicht bei. Es ist ja nicht das grundsätzlich Schlechte im Menschen, dass uns Deutsche zum Volk der Abzocker macht. Es waren die großen Parteien - und allen voran die SPD - die uns jahrzehntelang die süßen Kirschen eines auf Umverteilung angelegten Sozialstaates vorgehalten haben."

Und nun zum möglichen Verbot des Islamisten-Kongresses in Berlin. Er veranlasst die SAARBRÜCKER ZEITUNG zu einer klaren Stellungnahme:

"Aufruf zur Gewalt - das ist eine Grenze, die auch eine Tagung deutscher Gruppen nicht überschreiten dürfte. Dieses Tabu muss gelten. Da darf es keinen Multi-Kulti-Bonus geben, auch wenn die Hass-Predigten in fremder Sprache gehalten werden. Schlimm genug, dass radikale Islamisten in Hinterzimmern unserer Städte unbehelligt agitieren. Spätestens jetzt, da sie ein großes Forum suchen, muss der Staat klare Grenzen ziehen - und durchsetzen."

Eine konträre Position vertritt dazu die TAGESZEITUNG aus Berlin:

"Solange nicht zu Gewalt und Rassenhass aufgerufen wird, ist eine solche politische Versammlung in einer funktionierenden Demokratie auszuhalten. Das verlangt der zivilgesellschaftliche Anstand auch deshalb, weil bis heute unklar ist, was sich in der Gefahreneinschätzung so plötzlich geändert haben soll, um ein Versammlungsverbot auszusprechen."