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Pressestimmen von Samstag, 19. November 2005

18. November 2005

Unterzeichung des Koalitionsvertrages in Berlin // Bushs Probleme durch Irak

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Ein zentrales Thema der Kommentare in den deutschen Tageszeitungen an diesem Samstag ist der Vertrag zur Bildung der großen Koalition, den die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD in Berlin unterzeichnet haben. Beachtung findet darüber hinaus die Lage im Irak und die daraus resultierenden innenpolitischen Probleme von US-Präsident Bush.

Zunächst nach Berlin. Die Unterzeichnung des Koalitionsvertrages veranlasst die Kommentatoren, die Perspektiven des Regierungsbündnisses zu analysieren:

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus München heißt es:

'Union und SPD haben in den letzten Wochen einen gemeinsamen Text formuliert, doch es zeigt sich gleich zu Beginn, dass sie ihn in entscheidenden Passagen anders interpretieren und sich mithin im Denken immer noch unterscheiden. Merkel und Müntefering wird es
obliegen, solche Zwistigkeiten zu beenden, ehe sie der Koalition dauerhaften Schaden zufügen.'

Im GENERALANZEIGER aus Bonn lesen wir:

'Die herzliche Atmosphäre, in der Union und SPD den
Koalitionsvertrag unterzeichneten, steht in deutlichem Gegensatz zu dem frostigen Klima, das durch den Streit um Haushalt und Gesundheitsreform entstanden ist - und dies noch ehe man politisch miteinander warm geworden ist. Es ist absehbar, dass sich der Zank auf andere Felder mit nicht gelösten Problemen wie beispielsweise den Fahrplan um den Atomausstieg ausweiten wird.'

Der in Bayreuth erscheinende NORDBAYERISCHE KURIER bemerkt:

'Der Koalitionsvertrag ist besiegelt, nächste Woche hat Deutschland seine erste Kanzlerin. Zwei Monate lang wurde verhandelt, jetzt muss regiert werden. Die Lage war schon einmal schlechter: Die Wirtschaft scheint neues Zutrauen zu bekommen, das gute Wachstum im 3. Quartal lässt hoffen.'

Das Münchner Boulevard-Blatt TZ ist nicht optimistisch:

'Jetzt werde man mit 'Fröhlichkeit und Leidenschaft an die Arbeit gehen', so die künftige Kanzlerin strahlend. Doch viele fürchten, dass Merkels Leidenschaft nur Leiden schafft. Statt Aufbruchs- Euphorie herrscht schon Katerstimmung: Steuererhöhungen, Kürzungen, Streichungen. Eine Vision, um diese Zumutungen leichter verdaulich zu machen, konnten Merkel & Co. bislang nicht aufzeigen.'

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock führt aus:

'Mut und Menschlichkeit, wie der Titel des Vertrages verspricht, lassen sich aus dem teilweise verquast formulierten Vertragswerk nur sehr schwer heraus lesen. Dabei haben die Merkel, Müntefering und Co. nicht mehr und nicht weniger als ein Bündnis nationaler Verantwortung
geschlossen. Ein solches Bündnis ehemals harter politischer Gegner gab es seit fast vier Jahrzehnten nicht. Es beinhaltet, bei allen Risiken im Detail, die große Chance, das Land aus der Stagnation zu führen.

Die ESSLINGER ZEITUNG analysiert:

'Noch ist nicht erkennbar, ob gerade die steuerpolitischen
Maßnahmen wirklich für mehr Beschäftigung sorgen. Haushaltssanierung hat für die Koalitionäre Priorität. Noch ist die Tinte unter dem Vertrag nicht trocken, reißen schon die ideologischen Gräben in der Gesundheitspolitik auf, eines der vielen Streitfelder, die im Koalitionsvertrag wohlweislich ausgeklammert wurden.'

Themenwechsel. Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg beschäftigt sich mit den innenpolitischen Schwierigkeiten von US-Präsident Bush angesichts der Lage im Irak.

'Die Luft wird dünner für US-Präsident Bush. Immer mehr Menschen im Land sind mit dem Irak-Engagement nicht einverstanden. Der Protest der Demokraten wird lauter, was für Bush auch ein Risiko ist, weil 2006 Wahlen zum Kongress anstehen. Ein Abzug ist allerdings ebenfalls problematisch. Die irakische Regierung wäre derzeit nicht im Stande, im Land für Ruhe zu sorgen. Eine schiitische Diktatur könnte drohen und sich möglicherweise mit den Mullahs in Teheran verbünden. Vor allem aber wäre ein frühzeitiger Abzug ein gigantischer Sieg für Al Qaida. ... Bush droht ein Dilemma. Er muss Konzepte vorlegen, die zumindesst hoffen lassen, dass ein Abzug bald möglich ist. Sonst könnten noch ganz andere Probleme bevorstehen.'

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt zum angekündigten Abzug südkoreanischer Soldaten aus dem Irak:

'Noch am Vortag hatte Präsident Roh Moo-hyun mit dem amerikanischen Präsidenten Bush Einigkeit demonstriert, obwohl die Beziehungen nicht frei von Spannungen sind. Dabei hat es Roh offenbar nicht für nötig befunden, seinem Gast mitzuteilen, daß seine Regierung vorhabe, ihre Truppen im Irak zu verringern. ... Die südkoreanische Regierung hatte einst ohne Begeisterung der Entsendung ihrer Soldaten in den Irak zugestimmt. ... Die formal noch nicht getroffene Abzugsentscheidung ist populär und deshalb auch nachvollziehbar. Ihre Vermittlung ist dilettantisch.'

Die HESSISCH/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE aus Kassel bemerkt zum demokratischen US-Abgeordneten John Murtha, der den sofortigen Truppenabzug aus dem Irak fordert:

'Murtha gehört zu den Politikern, die seinerzeit selbst für den Irak-Einsatz gestimmt hatten. Doch auch er erkennt jetzt, dass die US-Soldaten im Irak keine Probleme lösen können, sondern selbst zum Problem geworden sind. Dass sie zwar Befreier vom Saddam-Regime waren, aber vor allem als Besatzer wahrgenommen werden. Die Antwort der Regierung ist ebenso eindeutig wie entlarvend: Keine inhaltliche Auseinandersetzung über den Sinn des Einsatzes, sondern Beschimpfungen und Unterstellungen.'

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG kommentiert:

'Für US-Präsident Bush ... könnte es kaum dicker kommen. An der Heimatfront brennt es lichterloh, weil inzwischen selbst republikanische Abgeordnete im Kongress die Gefolgschaft verweigern. Dass es dabei um massive Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich geht, hat etwas mit Bushs Problemen an der Irak-Front zu tun. Dort werden gigantische Summen verpulvert, die im Inland fehlen. Entsprechend lauter sind inzwischen die Stimmen geworden, die einen sofortigen Abzug aus dem Zweistromland fordern. Diesen wird es nicht geben, weil das für Bush das Eingeständnis der totalen Niederlage wäre.'